Kapitel 02: GLEN\\ EINE ZUFÄLLIGE BEGEGNUNG?


„Okay, wie weit sind wir mit den Reparaturen?“, Glen blickte erwartungsvoll zu seiner Schiffsmeisterin, Eve Baileywick, und seinem Chefingenieur, Dr. Klaus Lustig. 

Nein, seinem leitenden Ingenieur.

Nach all der Zeit in der ESF musste sich Glen von Zeit zu Zeit an die Details ihres neuen, Gateshot-spezifischen Organigramms erinnern, auch wenn dieses schon vor Wochen in Kraft getreten war. Obwohl die Aufgabe, ziviles und militärisches Personal in einem System unterzubringen, sie vor eine große Herausforderung gestellt hatte, nahm die Besatzung ihre neuen Ränge und Bezeichnungen recht gut an.

Auf seinem Schreibtisch stapelte sich ein kleiner Berg Datenfolien mit schriftlichen Berichten über all die großen und kleinen Probleme, mit denen ihr Schiff zu kämpfen hatte, und was dagegen unternommen wurde. Doch nach sieben Wochen hatte Glen es satt, sich durch all diesen Mist zu lesen, und zog stattdessen persönliche Updates vor.

Wenn Lustig dies ärgerte, so ließ er es sich nicht anmerken. Ohne einen Moment des Zögerns, berichtete der Zwerg: „Wir haben uns endlich um all die größeren und akuten Probleme gekümmert. Alle wichtigen Systeme wurden überholt und neu eingestellt, die Energieschilde sind wieder voll einsatzfähig. Und ja“, er warf Baileywick einen verschmitzten Blick zu, „ich habe die gepanzerten Läden installiert und feinjustiert. Sobald der Alarm ausgelöst wird, schließen sie sich.“

Die großgewachsene, blauhaarige Frau schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln.

„Unser Pub ist also sicher, großartig“, Glen streute ein wenig wohlplatzierten Sarkasmus in seine Bemerkung, „Wie steht es um die Kernstabilität unseres Schiffs?“

„Wir haben die strukturellen Schäden, soweit möglich und sinnvoll, versteift“, antwortete Eve, „Solange wir keine plötzlichen Kurs- oder Geschwindigkeitsänderungen einleiten, sollte der Zustand des Schiffes stabil bleiben.“

Mit einem kleinen Seufzer rieb sich der Kapitän die Stirn, „Nun, wir wussten, wir würden ein Dock auftreiben müssen, nicht wahr? Wie schaut‘s damit aus?“

Lustig schüttelte den Kopf, „Ich habe die meisten meiner Kontakte abgeklappert. Sehr erfolglos. Ich erwarte aber noch ein paar Rückmeldungen.“

Der Admiral nickte, dann räusperte er sich, „Irgendwelche Taxidocks in der Nähe?“

Obwohl sie diese Idee im Prinzip verworfen hatten, da es zu gefährlich wäre, während der ein oder zwei Monate, welche die Reparaturen dauern würden, im offenen Weltraum auf dem Präsentierteller zu sitzen, hatte Glen dennoch angeordnet, nach beweglichen Docks Ausschau zu halten. Man konnte schließlich kein Glück haben, wenn man gar nicht erst nach einer Dame Ausschau hielt …

„Bis vor zwei Wochen gab es nichts, was für unsere Bedürfnisse geeignet gewesen wäre“, antwortete Heidi Rivers, die Leiterin der Wissenschaftsabteilung, „Und jetzt gar nichts mehr. Seien wir ehrlich, dieser Teil des neptunischen Raums ist leer. Hier lohnt es sich einfach nicht, auf Abruf bereitzustehen.“

Glen nickte und warf einen Blick auf die Sternenkarte vor sich, „Es ist sowieso schon fast zu spät. Wie lange dauert es noch, bis wir den plutonischen Raum erreichen?“

„Bei unserer derzeitigen Geschwindigkeit und Flugbahn nicht ganz drei Tage“, erklärte Eve, „Wir sind schon fast in der Grenzregion.“

Gut …

„Diese ist 1,5 SRZs groß, richtig?“, der Kapitän könnte in seiner Karte nachsehen, doch er wusste, dass Eve ihm die Information schneller geben würde. 

Seine Schiffsmeisterin nickte. Ein verwirrter Blick glitt über das herzförmige Gesicht seiner Schiffshexe, woraufhin diese von der Münze aufschaute, welche sie schon seit zwei Minuten anstarrte, als wolle sie sie verschwinden lassen. Suzy Magecraft war schließlich die Expertin für Magie, nicht für Navigation.

„Eineinhalb Tage Standardreisezeit“, erklärte Glen, „Da man keine exakte, gerade Linie durch den offenen Raum abstecken kann, wo sich alles ständig bewegt, haben die meisten souveränen Territorien eine Grenzregion zwischen sich. Das ist eine Art Grauzone, die niemandem gehört. Beide Seiten können sich darin bewegen, doch man sollte besser keinen Streit anfangen. Die Regeln sind so kompliziert, wie die durchsetzende Seite sie machen will, also halten sich die meisten Kapitäne an die alte Weisheit ‚Reinfliegen, rausfliegen, bloß keinen Ärger machen‘.“

Lustig schmunzelte darüber. Oder vielleicht über das Wissen, dass die meisten Kapitäne tatsächlich etwas anderes als ‚Ärger‘ sagten.

Na ja … kein Grund, die Jugend zu verderben und so.

„Oh“, Suzy nickte langsam. Sie öffnete den Mund, wahrscheinlich um eine Folgefrage zu stellen, als GaSIn die Besprechung unterbrach.

„Achtung“, warnte die Schiffs-KI, „Bogey-Schiff im Anflug!“

Glen und Eve warfen sich einen verwirrten Blick zu, sprangen dann auf und eilten hinaus, den Rest des anwesenden Führungspersonals im Schlepptau.

Kaum hatten sich die Doppeltüren zur Brücke geöffnet, forderte Glen: „Lt. Singh, Bericht!“

Der dunkelhäutige Russasier, welcher aufgrund seines Postens in den Rang eines Offiziers erhoben worden war, räumte rasch den Kapitänsstuhl und stand stramm, „Ein velorianisches Schiff von etwa 300 Metern Länge nähert sich in 2k Entfernung, Kapitän. Sieht aus wie eine mittelstarke Panzerung und Bewaffnung.“

2.000 km Entfernung waren nicht viel.

Nun denn.

Es war schön, zu sehen, wie die zivilen Elemente das angemessene Verhalten und Auftreten der Marine verinnerlichten. Die Uniformen trugen definitiv dazu bei, dass sich alle kriegerischer und korrekter fühlten.

Doch warum hatten sie den Bogey nicht bereits früher entdeckt? Wahrscheinlich lag es nur an einem Sensorschatten. Nachdem er in Gedanken vermerkte, die Logbücher später diesbezüglich zu überprüfen, entließ er Singh mit einem zustimmenden Nicken. Glen setzte sich und betrachtete das fremde Schiff auf dem riesigen Bildschirm, welcher die Hälfte der gebogenen Wand des Raumes einnahm, sowie das 3D-Modell davon direkt vor ihm. 

„Eine Fregatte also“, sortierte er das Ding in eine ihm bekannte Schublade.

Eve schüttelte den Kopf, „Das ist eine menschliche Klassifizierung. Die Velorianer würden es als Ruja bezeichnen. Sie haben allerdings damit recht, dass es ein auf Geschwindigkeit ausgelegtes Mehrzweckschiff ist.“

„Kapitän, sie funken uns an und fordern unsere Kapitulation“, meldete Singh, nachdem er seinen regulären Posten an der Kommunikationsstation eingenommen hatte, „Soll ich die Nachricht abspielen?“

„Nein“, Glen winkte ab, „davon habe ich in meinem Leben schon genug gehört, sie klingen alle gleich. Fr. Rivers?“

Die Rothaarige hatte ihre Vertretung an den Scannern abgelöst und meldete: „Massiver Energieanstieg am Bug.“

Sie bereiteten also Strahlenwaffen vor. Na toll.

„Über welche Art von Waffen verfügen diese Schiffe?“, fragte Glen Eve, „Was für eine Leistung haben die?“

Jetzt, da sie ihm gegenüber zugegeben hatte, dass sie in Wirklichkeit ein beseelter, außerweltlicher Roboter war und ihm eine Fülle hilfreicher Informationen liefern konnte, wenn er sich bereit erklärte, ihr Schüler zu sein, war die Zusammenarbeit drastisch einfacher und unendlich fruchtbarer geworden. 

Die Art, wie sie das Miniaturmodell anstarrte, verriet ihm, dass sie noch suchte. So viele Informationen zur Verfügung zu haben, bedeutete nicht, dass sie sofort die relevanten herausfiltern konnte.

„Ich kenne dieses spezifische Modell nicht“, murmelte sie, „Geben Sie mir ein paar Sekunden, bitte.“

„Sie geben uns 5 Minuten“, bemerkte Singh hilfsbereit.

„Wie nett und höflich von ihnen“, kommentierte Suzy etwas sarkastisch.

Glen warf einen Blick auf die Konsole zu seiner Linken, welche zunächst Eve und dann für kurze Zeit Nick vorbehalten gewesen war. Seit sie der Besatzung in Kurzform erklärt hatte, was sie war und dass sie keine physische Verbindung zum Schiffscomputer brauchte, um ihn zu benutzen, wunderte sich niemand mehr darüber oder über ihre außergewöhnlichen Kenntnisse. 

Diese Ecke leer zu sehen, bescherte ihm ein seltsames Gefühl … Es erweckte in ihm den Eindruck, dass er den XO misste, obgleich das nun offiziell Singhs Posten war. Der dunkelhäutige Mann mit der ausgeprägten Nase bevorzugte jedoch für beide Aufgaben seine eigene Konsole und leitete die Kommunikation gewohnheitsmäßig an eine Aushilfe weiter, wann immer er Unterstützung brauchte. Ein beherzter Commtechniker bereitete sich bereits darauf vor, bei Bedarf zu übernehmen.

Singh erlaubte sich ein Schmunzeln, „Ich habe ihnen gesagt, dass ich zuerst den Kapitän aufwecken muss, weil niemand sonst diese Entscheidung treffen kann.“

Dr. Lustig lachte schnaubend, als er sich hinter seine eigene Hilfskonsole neben den Commtechniker setzte und eine direkte Verbindung zum Maschinenraum herstellte, um dessen Leistung im Auge zu behalten und Befehle zu erteilen. Da er bereits auf der Brücke war, ging das schneller, als mehrere Stockwerke hinunterzueilen und von dort aus die Verbindung hierhin aufzunehmen, um den nötigen Überblick zu bekommen.

„Gut gedacht, Lt. Singh“, lobte Glen.

Führungs- und Brückencrew begangen, nahtlos zusammenzuarbeiten. 

Eve übermittelte die Spezifikationen an Glens Konsole und den Rest der Brückencrew.

Lt. Jiăng, ihr Waffenexperte, gab einen leisen Pfiff von sich, „Unsere Energieschilde sollten mindestens ein Dutzend ihrer Schüsse abwehren. Aber wir können nicht entkommen, ohne die Gateshot zu sehr zu belasten und zu riskieren, die strukturellen Schäden zu verschlimmern.“

„Also müssen wir sie ausmanövrieren“, entschied der Kapitän, „Lt. Ludmilla, haben Sie eine Idee?“

„Ziehen wir uns erst einmal zurück, um so viel Abstand wie möglich zu halten“, schlug ihre erste Pilotin vor, „Dann drehen wir. Eine sanfte Rotationsbewegung, durch die Antriebe an den Flügelenden erzeugt, sollte die Belastung im Zentrum minimieren, es schwieriger machen, uns zu treffen, und uns auf Abstand bringen. Wir könnten dann Minen absetzen.“

„Nein. Minen sind zu unkontrollierbar“, Glen schüttelte entschlossen den Kopf, „Sie könnten menschliche Frauen an Bord haben. Wir können nicht riskieren, diese zu verletzen. Außerdem sollten wir uns nicht zurückziehen. Wir wollen angreifen. In unserem momentanen Zustand wird jede Richtungsänderung mehr Zeit kosten, als wir haben. Fr. Baileywick, Ihre Meinung?“

Eve tippte sich nachdenklich ans Kinn, „Ein Korkenziehermanöver macht es sicherlich schwieriger, uns zu treffen, doch es verlangsamt auch unseren Flug. Betrachten Sie das Schiff. Was sehen Sie?“

Glen drehte das kleine Modell, um es besser in Augenschein nehmen zu können, „Dieses Schiff scheint für Frontalangriffe konzipiert zu sein.“

„Ganz genau“, Eve nickte, „Ich schlage vor, wir konzentrieren uns auf die beiden velorianischen Defizite: ihren Hochmut und ihre schwachen Flanken.“

„Also locken wir sie in die Richtung, in der wir sie haben wollen. Ein sauberer Schuss, um ein paar dieser schwenkbaren Antriebseinheiten auszuschalten, und wir können das Weite suchen“, entschied Glen, während er aufstand und seine Uniformjacke auszog, „Lt. Ludmilla, Lt. Jiăng, planen Sie es! Lt. Jiăng, lassen Sie unsere Waffen so lange wie möglich dunkel! Lt. Singh, rufen Sie sie! Ich werde versuchen, sie hinzuhalten. Kameras nur auf mich.“

Der Admiral warf Eve seine Jacke zu. So stolz er auch darauf war, die Velorianer wussten vielleicht nicht viel über das Schiff, welches sie verfolgten. Es könnte sich als kontraproduktiv erweisen, ihnen eine Uniform zu präsentieren, auf der das besagte Schiff abgebildet war, wie es durch das von den Aliens so eifrig bewachte Raumtor flog. Ein lässiges, ziviles Auftreten an den Tag zu legen könnte außerdem dazu führen, dass sie seine Mannschaft unterschätzten. Also rupfte er sein weißes T-Shirt aus der Hose und knüllte die Vorderseite, um es wenigstens ein bisschen zu verknittern … verdammter knitterfreier Smartstoff … Anschließend zog er das Haargummi aus seinem Pferdeschwanz und zerzauste Haar und Bart, damit er weniger gepflegt und korrekt aussah, mehr so als wäre er wirklich gerade erst aus dem Bett gefallen.

„Aye, Sir!“, alle machten sich an die Arbeit.

Eve fing die Jacke auf, trat zur Seite und gab Suzy ein Zeichen, dass sie das gleiche tun und sich neben Lustig anschnallen sollte.

„Bereit, Kapitän“, verkündete Singh, „Sie haben noch 30 Sekunden.“

„Dann warten wir weitere 15“, entschied Glen, „Geben Sie Bescheid. Sobald ich spreche, versuchen Sie, deren Kommunikation nach außen zu stören.“

„Aye, Sir!“, Singhs dunkle Augen hafteten auf seiner Konsole; wahrscheinlich verfolgte er einen Timer.

Schließlich nickte er und zählte herunter: „5… 4… 3…“

Glen holte tief Luft und nickte, in der Gewissheit, dass Eve bereitstand, um das Gelaber, das er gleich von sich gab, mit digitaler Glaubwürdigkeit zu versehen, „Velorianisches Schiff, hier spricht Kapitän John Delaney vom saturianischen Frachter Free Spirit. Was hat dies zu bedeuten? Wir sind ein harmloses Handelsschiff! Warum fordern Sie uns mit vorgewärmten Waffen auf, uns zu ergeben? Ist Ihnen bewusst, dass dies nach menschlichem Recht als Piraterie gilt?“

Auf dem Hauptbildschirm erschien daraufhin ein schmächtiger Mann mit knochenbleicher, nahezu teigiger Haut. 

Die meisten Velorianer sahen aus wie leicht anämische Menschen, abgesehen von ihren Ohren und den ledrigen Kämmen an Schultern und Rücken. Das velorianische Gehör konnte durch Ausfächern der Ohren verbessert werden. In ihrem normalen Zustand hatten diese jedoch eine fast schon komödiantische Ähnlichkeit mit verkehrt herum gespannten Cocktailschirmchen. Eve hatte Glen erklärt, dass Haare ursprünglich ein natürliches Merkmal ihrer Physiologie darstellten. Doch vor einigen hundert Jahren hatte ein Großteil der Velorianer unter der Fuchtel einer Unterdrückungsmacht Haare aus dem genetischen Code ihrer Nachkommen entfernt, um bei ihren Herren höheres Ansehen zu erlangen. Wie es schien, fanden die von Natur aus kahlen Unterdrücker das Konzept von aus der Haut ragendem, totem Gewebe ekelerregend.

Da Menschen zumeist eine gegenteilige Meinung vertraten und die meisten Velorianer heutzutage nach einem menschlichen Partner zu suchen schienen, waren Perücken bei ihnen inzwischen der letzte Schrei. An vielen Außerweltlichen, wie auch diesem hier, sahen die kunstvoll gefertigten und perfekt gepflegten Mähnen allerdings ausgesprochen deplatziert aus.

Wenn man über die bleiche Haut und die fehlenden Haare hinwegsah, konnte man Velorianer zweifellos für attraktiv halten. Ihre Körper wiesen eine nahezu perfekte Symmetrie auf, was dem schmächtigen Mann auf dem Bildschirm eine grazile Anmut verlieh, während es die körperliche Stärke der bulligeren Wachen im Hintergrund hervorhob. Ihre Augen waren etwas größer als die der Menschen und zeigten eine Vielzahl auffälliger, oft in komplizierten Mustern angeordneten Farben. Eine Laune der Natur, so hatte Eve erklärt, verstärkt durch genetische Manipulation.

Als die Kamera näher an den velorianischen Kapitän heranzoomte, konnte Glen erkennen, dass dessen Augen einen dunkelroten Grundton hatten, auf welchem sich hellblaue Rauten und waldgrüne Linien zu einem ansprechenden Farbenspiel zusammenfügten. Ja, so ungern er es auch zugeben mochte, er konnte sehen, was seine Töchter an ihrer Art faszinieren würde.

Die fremdartigen Augen starrten Glen ein paar Sekunden lang an, bevor ihr Besitzer sich in seinem Sitz zurücklehnte. 

„Es ist mir völlig egal, wer oder was Sie sind“, verkündete er in einem verächtlichen Tonfall, „Was ich will ist Ihr Schiff. Wie Sie daran gekommen sind, ist für mich nicht von Belang. Auch Ihr Name interessiert mich nicht. Informieren Sie Ihre Mannschaft, dass sie sich auf eine Übernahme vorbereiten soll.“

„Aber! Aber!“, Glen tat so, als sei er wütend und verzweifelt, „Das ist ungeheuerlich! Dies ist neptunischer Raum! Das menschliche Gesetz–“

„… interessiert mich nicht“, der Velorianer gestikulierte zu jemandem außerhalb des Bildschirms, „Hier draußen sieht es niemand und es kümmert auch keinen. Wenn Ihnen das Leben Ihrer Mannschaft etwas bedeutet, bereiten Sie sich darauf vor, geentert zu werden. Andernfalls werde ich Ihr Schiff mit ein paar Löchern abliefern müssen. Es wird sich trotzdem lohnen. Sie haben zwei Minuten Zeit.“

Der Bildschirm erlosch.

„Arschloch!“, murmelte Glen und fiel in seine natürliche Haltung zurück, während er die Hand ausstreckte.

„Typisch velorianische Arroganz“, Eve erkannte die stumme Aufforderung und reichte ihm seine Jacke zurück, „Er kann sich nicht einmal vorstellen, dass Menschen eine Bedrohung für seine überlegene Technologie darstellen könnten.“

„Hmmm“, der Admiral schaute zu Ludmilla, „Pilot, alles bereit?“

„Aye, Kapitän!“

„Gut, bringen Sie uns langsam heran und neigen Sie uns zur Seite, als würden wir uns darauf vorbereiten, geentert zu werden, dann weichen Sie in letzter Sekunde aus und fliegen ganz nah ran, damit wir auf die Antriebseinheiten schießen können.“

„Aye, Sir!“

„Lt. Singh, sagen Sie ihnen, dass wir … darüber nachdenken“, Glen gestikulierte vage, „Vielleicht den letzten Teil etwas unkenntlich machen.“

„Aye, Sir!“

„Warum?“, Rivers konnte sich die Frage nicht verkneifen.

„Weil wir gegen Artikel 5 der Jupiter-Konventionen verstoßen, wenn wir sagen, dass wir kooperieren oder uns sogar ergeben, nur um dann eine aggressive Handlung einzuleiten“, erklärte Lustig, „Dann sind wir die Piraten.“

„Richtig“, Glen nickte, „Nur weil sie nie unterschrieben haben, gibt uns das keinen Freibrief.“

„Kapitän“, Suzy deutete mit ihrem Tonfall an, dass sie eine andere Idee hatte.

„Ja, Fr. Magecraft?“, Glen wusste, was kommen würde; er hatte bereits verworfen, was er in ihren violetten Augen glitzern sah.

„Aber könnten wir sie nicht … an Bord lassen, die Gruppe in eine Falle locken und sie im Gegenzug entern?“

„Und was dann?“, Glen schüttelte den Kopf, „Selbst wenn sie Menschen an Bord haben, sind diese nicht zwangsläufig gegen ihren Willen dort. Selbst wenn es uns gelingt, den Entertrupp in eine Falle zu locken und mit minimalen Verlusten gegenzuentern, könnten sie Verstärkung erhalten. Und selbst wenn nicht, was machen wir dann mit den Gefangenen und dem Schiff? Sicher, wir könnten einige interessante Informationen erhalten, WENN wir die Zeit fänden, alles gründlich zu durchforsten, aber haben wir die? Außerdem haben die menschlichen Regierungen zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund, sich einzumischen. Wenn wir bei Piraterie gegen die Velorianer erwischt werden, spielt ihnen das vielleicht genug in die Hände, um die Erde zum Handeln zu bewegen. Wollen wir wirklich von mehr als einer Fraktion gejagt werden?“

Suzys Blick senkte sich, „Tut mir leid, Kapitän, ich habe das wohl nicht richtig durchdacht.“

„Es wäre eine durchaus valide Taktik, Fr. Magecraft“, Glen schenkte ihr ein leichtes Lächeln, „aber in diesem Fall wird die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgehen.“

„Aye, Sir“, die Hexe nickte entschlossen.

Nur waren sie nicht die Einzigen, die nicht ganz sauber spielten. 

Kaum neigte sich die Gateshot zur Seite, was einen Beschuss ihrer Flügel begünstigte, machten sich die Velorianer daran, sie auszuschalten.

„Ausweichen!“, rief Glen.

Ludmillas Reaktion war bewundernswert in Timing, Voraussicht und Qualität der Ausführung.

Durch die Aktivierung der Flügelantriebe vollführte die Gateshot einen Korkenzieher und wich dem auf sie gelenkten Energiestrahl nur um wenige Meter aus. Als sie, Bauch an Bauch, durch einen wahren Ansturm feindlicher Geschosse unter dem anderen Schiff hindurchflog, erwiderte Jiăng das Feuer. Dies bewirkte genau das, was Glen sich erhofft hatte: Das velorianische Schiff neigte sich zur Seite, um den Geschossen auszuweichen, und gewährte ihnen einen schönen Blick auf seine Heckantriebe.

Jiăng schickte einen regelrechten Strahlenregen gegen das Schiff, um die feindlichen Schilde zu schwächen und seinen einen gezielten Schuss zu verbergen. Ein einzelnes explosives Geschoss streifte die Seite der mittleren hinteren Antriebseinheit und verpasste dieser eine ordentliche Delle, als es detonierte. Kein perfekter Treffer, und ein leichtes Stirnrunzeln verriet Jiăngs Unzufriedenheit damit. 

Doch es reichte. Der feindliche Antrieb stotterte und schaltete sich ab, während seine Kameraden einen zusätzlichen Schub gaben und das sichtbare Licht der Tscherenkow-Strahlung im Inneren für ein paar Sekunden heller leuchtete.

„Sie fliehen“, bestätigte Rivers, was Glen deutlich sehen konnte, „Verdammt, das war einfach …“

„Nein, das war nur der Anfang“, der Admiral gestikulierte, „Pilot, ihr nach! Sobald das Schiff aus unserer Störungsreichweite heraus ist, werden sie unseren Standort melden!“

„Aye, Sir!“, Ludmilla passte den Kurs an.

„Vielleicht haben sie das bereits“, Eve schien besorgt, obgleich ein Glitzern in ihren Augen seine Zufriedenheit mit der Leistung ihrer Mannschaft widerspiegelte.

„Wir wurden getroffen, Kapitän“, meldete Lustig, „Allerdings haben unsere Schilde das meiste abgefangen. Nur ein paar Kratzer.“

„Gut“, Glen nickte.

„Ich rate trotzdem von einer Verfolgung ab“, fuhr der leitende Ingenieur fort, „Nach meinen Berechnungen werden wir ohnehin nicht in der Lage sein, die nötige Geschwindigkeit zu erreichen, um sie einzuholen. Sie zu verfolgen würde die Stützen nur unnötig belasten.“

Glen schaute zu Eve.

„Das sehe ich auch so. Die beschädigte Antriebseinheit scheint sie um etwa 10-12  % zu verlangsamen; sie müssten mindestens 27  % langsamer sein, wenn wir sie innerhalb einer akzeptablen Belastung für die Struktur der Gateshot einholen wollten.“

„Lt. Singh?“, fragte Glen.

„Befürwortet“, Singh schien sich seiner Entscheidung sicher, „Der Weltraum ist weit und leer hier draußen. Wenn sie uns fangen wollen, ist es besser, sie dazu zu zwingen, uns wiederzufinden, als ihnen in eine Falle nachzujagen.“

„Einverstanden“, Glen deutete auf Ludmilla, „Pilot, brechen Sie die Verfolgung ab. Dr. Lustig, verschaffen Sie mir einen Überblick über die Schäden. Fr. Rivers, scannen Sie unseren Rumpf nach Trackern, besonders in und um die Schäden herum. Wir wollen es ihnen ja nicht leicht machen.“

„Aye, Sir!“, antworteten sie alle gemeinsam.

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