Primäres velorianisches Botschafterraumschiff, im Orbit um die Erde

„Die Lightbearer ist startbereit, Botschafter“, Ruffa verbeugte sich leicht. „Alle Rohstoffe und Arbeitskräfte, welche für die Umrüstung zum Umschlagzentrum benötigt werden, sind geladen. Sie ist vollständig ausgerüstet, um mindestens eine halbe Umrundung ohne neue Vorräte zu bewältigen.“

Thallamon nickte. Der Gouverneur des menschlichen Raums, durch die Gnade Seiner Majestät, des velorianischen Obersten Führers Vosteral III., und hier nur als oberster velorianischer Botschafter bekannt, stand in seinem Arbeitszimmer und inspizierte eine holografische Anzeige, welche den Aufbau und die Positionierung ihrer Verteidigungsanlagen am Raumtor zeigte.

„Sehr gut“, befand er. „Sie haben die Vorbereitungen in guter Zeit bewältigt. Schicken Sie sie los.“

„Botschafter, bei allem Respekt“, sein Adjutant hielt den Blick auf den Holzschreibtisch gerichtet und zwang seine Ohrenfalten in eine unterwürfige Haltung, „darf ich vorschlagen, dass ich diese Mission leiten sollte? Auf diese Weise können Sie sicher sein, dass sie optimal durchgeführt wird, und sollte ich scheitern, würde mir die Schuld diesmal zu Recht zufallen.“

Nur das leichte Zittern der untersten Falte verriet die extreme Anstrengung, mit der Ruffa in diesem Moment seinen Stolz im Zaum hielt. Für einen Krieger seines Ranges und seiner Abstammung war es äußerst beschämend, sich derart demütig zu zeigen. Er hatte natürlich Recht. Kein anderer militärischer Befehlshaber in Thallamons Gefolge war für diese Aufgabe besser geeignet. Aber dem einzigen anderen Velorianer, der in der Lage und willens war, die Position des Gouverneurs anzufechten, das Kommando über das zweitmächtigste Schiff in diesem System zu übertragen und ihn der direkten Aufsicht zu entziehen, könnte zu einem Fiasko ausarten, das ihr Volk alles kostete. Mit fast einem ganzen Sonnensystem zwischen den beiden Anführern wäre Ruffa gleichzeitig eine weniger belastende Gefahr und vielmehr ein unberechenbarer Faktor.

Bevor Thallamon sich entscheiden konnte, hallte ein hartes Klopfen durch den Raum.

„Wer ist da?“, fragte er beinahe empört und gleichzeitig dankbar für die Verzögerung.

Ruffa richtete sich rasch auf und wandte sich der Quelle des Lärms zu, wahrscheinlich damit sein Vorgesetzter sein Gesicht nicht sehen konnte.

„Botschafter“, ertönte Gerros Stimme aus den Lautsprechern, „ich störe Sie ungern, aber ich habe in den Gemächern Ihres Sprösslings etwas gefunden, das Sie sehen sollten.“

Thallamon unterdrückte einen Seufzer, als er einen Blick auf die Kameraübertragung vor seiner Tür warf. Nun, das war … erzürnend. Dies in Ruffas Gegenwart zu thematisieren, könnte ihn schwach erscheinen lassen. Andererseits würde der Andere, selbst wenn Thallamon Gerro und dessen Fund wegschickte, sicherlich über genügend Einfluss verfügen, um leicht in Erfahrung zu bringen, was sich zugetragen hatte. Eine gnadenlose Machtdemonstration gegenüber Thallamons eigenem widerspenstigen Fleisch und Blut könnte Ruffa zweimal darüber nachdenken lassen, aus der Ferne Pläne zur Usurpation seines Vorgesetzten zu schmieden und gleichzeitig das besagte Fleisch und Blut in die Schranken weisen.

„Bringt es herein“, sagte der Anführer, während er jede Schwäche unterdrückte und seine Ohren in eine resolute Haltung presste.

Gerro hielt den zappelnden Menschen am Hals fest, während zwei der Klone einen zutiefst beschämten Evron hereinführten. Als der Anführer von Thallamons Leibwache den fast zierlichen Menschen vor den Schreibtisch zu Boden warf, zuckte Evron zusammen, als würde er den Schmerz persönlich spüren.

„Wir haben es in seinem Bett gefunden“, berichtete Gerro mit einer tiefen Verbeugung, sichtlich unglücklich darüber, solch eine widerwärtige Nachricht überbringen zu müssen. „Es scheint, als sei es im letzten Botschafterraumschiff versteckt an Bord geschmuggelt worden.“

„Nicht versteckt!“, kläffte die verabscheuungswürdige Kreatur wie einer ihrer winzigen Hunde. „Ich habe meinen Vater hierher begleitet! Den Botschafter von Luna 4! Ihr könnt mich nicht anrühren, ohne einen schweren Zwischenfall zu provozieren!“

„Glaubst du das wirklich, Mensch?“ Selbst im Sitzen überragte Thallamon den verzierten Tisch mühelos.

„Jake, bitte“, zischte Evron, „halt den Mund!“

Als der Hund aufspringen wollte, drückte Gerro ihm einen Fuß in den Nacken.

Evron fiel auf die Knie. „Vater, bitte! Tu ihm nichts! Ich flehe dich an!“

Das schürte Thallamons Wut nur noch mehr. Er gab den beiden Wachen ein Zeichen, und sie rissen seinen Sprössling zurück auf die Beine.

„Meine Gene betteln nicht!“, knurrte er und kniff die Augen zusammen. „Sie kauern nicht und verkehren nicht zum Vergnügen mit schmutzigen menschlichen Männern.“

Der Mensch wand sich schwach gegen den Druck. Sein Gesicht hatte eine höchst unattraktive rote Farbe angenommen, während seine Bewegungen auf dem Boden den Velorianer an einen auf das Land gespülten Fisch erinnerten. Ruffas Haltung zeigte eine Mischung aus Unbehagen, bei einem so privaten Gespräch anwesend zu sein, und Interesse an dessen Verlauf.

„Du hast eine Pflicht zu erfüllen, Evron!“, tadelte Thallamon sein Kind, dessen Augen in betäubter Panik auf seinem Liebhaber ruhten. „Deine Gene sind exquisit, von seltener Reinheit und Stärke. Du bist sehr fruchtbar. Dies an einen Mann zu verschwenden, kommt einem Verrat gleich!“

„Aber … aber ich mag Jake“, schluchzte sein Kind, während es mit kleinen ruckartigen Bewegungen den Kragen seiner Robe knetete. „Er ist freundlich und abenteuerlustig und …“

Thallamon weitete kaum merklich die Augen.

„… völlig falsch für mich!“, rief Evron. „Ich sehe meine Torheit, Vater. Ich werde mich bessern, das schwöre ich!“

„Gut“, der Botschafter gestikulierte. „Hilf ihm auf, Gerro.“

Sein Wächter ersetzte den Stiefel an der Kehle des Menschen durch seine Hand, wobei seine Haltung deutlich die Absicht erkennen ließ, ihm wehzutun.

„Vorsichtig, Gerro“, mahnte der Gouverneur. Sein Leibwächter verzog etwas angewidert das Gesicht. Dann packte er stattdessen den Verursacher des ganzen Aufruhrs unter beiden Achseln und hob ihn mit der Zurückhaltung und Vorsicht, die man bei einem Kleinkind walten lassen würde, auf seine nackten Füße.

„Jake, richtig?“, fragte Thallamon in einem freundlichen Tonfall. „Das ist dein Name?“

„Ähm, ja.“

Die Augen des Menschen huschten zu Evron, dann zu den Wachen und schließlich zu Ruffa, bevor sie endlich der Person begegneten, die ihn angesprochen hatte. Zögerliche kleine Bewegungen durchliefen seinen Körper, während er seinen dünnen Satinmantel zurechtzupfte und den losen Gürtel neu band. Der Botschafter brauchte keine besondere Ausbildung im Umgang mit diesen Wilden, um die wachsende Unsicherheit in der Haltung und im Verhalten des Mannes zu erkennen. Das war eindeutig nicht das, was er erwartet hatte. Nun, wenn er geglaubt hatte, sein Geliebter würde mehr Rückgrat zeigen, um ihn zu verteidigen, dann hatte er offensichtlich eine sehr schlechte Einschätzung von Evrons Charakter. Aus irgendeinem Grund empfand Thallamon diese Erkenntnis als kleinen Lichtblick und fand sie sogar amüsant.

„Wie lange?“ Er legte beide Hände auf den Schreibtisch und verschränkte die Finger in der menschlichen Art. „Wie lange verschwendest du schon die Zeit und das Erbgut meines Nachkommens?“

„Wir sind seit sechs Monaten und zwölf Tagen zusammen“, sagte der Mensch und errötete erneut. Diesmal vor Empörung. „Und ich verschwende nicht seine Zeit! Ich liebe ihn!“

„Jake, nicht!“ Evrons wieder aufflammende Panik wurde durch ein leises Flattern seiner Ohren unterbrochen.

Unglaublich! Wie konnte er Gefühle für diesen … Außerirdischen haben? Nun, es könnte sich als das Mittel erweisen, das Thallamon brauchte, um ihn endlich zur Erfüllung seiner Pflicht zu bewegen. Es könnte dem Gouverneur auch eine Möglichkeit bieten, Ruffa ausreichend zu beschäftigen, damit dieser keine Pläne gegen ihn schmieden konnte, und dem Raumtor obendrein zusätzlichen magischen Schutz bieten.

„Gerro, bring Jake in eines der Spezialquartiere. Versorge ihn mit ausreichend Essen und Wasser, bis ich etwas anderes anweise.“

Eine Welle tiefen Schocks durchfuhr Evron und er tänzelte tatsächlich einen schnellen Schritt vorwärts, während er rief: „Vater, nein! Ich werde alles tun!“

Daraufhin schien in dem Menschen ein Funken Verstand zu erwachen. Er straffte die Schultern, ballte die Fäuste und verkündete hochmütig: „Ihr könnt mich nicht einsperren! Meine Eltern werden—“

„Ah, ja, deine Eltern. Gerro, erkläre Jakes Abwesenheit mit einem tödlichen Unfall und entschädige seine Eltern für ihren Verlust.“

„Das werden sie euch niemals abkaufen!“, der Mensch zuckte mit der klaren Absicht, über den Schreibtisch zu springen. Eine Bewegung von Ruffas Handgelenk stoppte ihn. Bevor die verabscheuungswürdige Kreatur mehr als einen Schritt machen konnte, schloss sich ein magischer Griff um sie. Unfähig, irgendetwas zu tun, weiteten sich ihre Augen in panischer Erkenntnis, wie weit sie sich von der Sicherheit ihrer Herde entfernt hatte. Die Erkenntnis, dass dieser Fehltritt höchstwahrscheinlich den Tod bedeuten würde, schien endlich in sein Bewusstsein zu dringen.

„Nein …“, wimmerte Evron leise.

„Nun, sollten sie sich als zu hartnäckig erweisen, um sich leicht überzeugen zu lassen, müssen wir ihnen eben eine Leiche zur Begutachtung zur Verfügung stellen“, Thallamon nickte Gerro zu. „Du hast meine Erlaubnis, die Klonanlagen für diesen Zweck zu nutzen.“

„Wie Sie wünschen, Botschafter“, Gerro verbeugte sich und nahm Ruffa den Gefangenen ab.

Die Ohren seines Nachkommens zuckten unkontrolliert, als er wegschaute. Auf Thallamons Zeichen hin verließ Gerro mit dem Menschen den Raum, und die Klone schoben seinen Nachkommen näher heran. Während er beiseite trat, blieben Ruffas Augen hell und voller intriganter Neugier.

„Evron, ich bin nicht länger bereit, die Schande zu akzeptieren, welche dein Verhalten über unser Blut und unsere Position bringt“, sagte der Gouverneur und spreizte seine Ohren fast um ein Viertel auf, um seine Unzufriedenheit und seinen höheren Status deutlich zu machen. 

„Du hattest eine Aufgabe in diesem System: unsere Gene so weit wie möglich zu verbreiten. Und ja, ich weiß, wie widerwärtig das ist. Ich übe diese Pflicht auch nicht gern aus. Aber es ist und bleibt unsere Pflicht. Wir sind die letzten Nachkommen eines alten, angesehenen Blutnetzes. Es ist unsere Aufgabe, dieses genetische Erbe zu schützen und es in der Neuen Lösung für die Große Not zu verbreiten. Als Teil dieses Schutzes habe ich dich vielleicht zu sehr behütet. Ich sehe jetzt, dass du mit anderen Aspekten unseres andauernden Kampfes ums Überleben vertraut gemacht werden musst.“

Die Augen seines Kindes weiteten sich erneut. Da er selten Interesse an den täglichen Aufgaben seines Erzeugers zeigte, war Evron wahrscheinlich nicht über die aktuelle Situation auf dem Laufenden. Was ihm jedoch zweifellos bewusst war, waren die Härten und Schmerzen, welche unerbittlich auf ihn zusteuerten.

„Ruffa, Sie haben das Kommando über die Lightbearer,“ Thallamon gestattete sich ein kleines Lächeln, „Sie werden meinen Sprössling und alle anderen magisch Begabten mitnehmen, welche wir entbehren können. Sie sollen sich darauf vorbereiten, alle magischen Mittel zu neutralisieren, mit denen die Menschen versuchen könnten, das Tor zu öffnen. Außerdem werden Sie für die Sicherheit und die Ausbildung meines Sprösslings sorgen.“

„Wie Sie wünschen, Botschafter“, sagte Ruffa und verbeugte sich, wobei er sichtlich darum kämpfte, seine Unzufriedenheit über die ihm auferlegte zusätzliche Last zu verbergen.

Unterdessen verloren Evrons Ohren jegliche Farbe.

Thallamon beugte sich vor, „Evron, wenn dir das Leben deines Haustieres lieb ist, schlage ich vor, dass du genau das tust, was dir aufgetragen wird, und jede Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erfüllst. Und nur für den Fall, dass du das nicht tust, werde ich unsere Genetiker beauftragen, dir etwas Kernmaterial zu entnehmen. Melde dich als Erstes in ihrem Büro und pack dann deine Sachen.“

„Was?“ Evron umarmte sich selbst. „Aber Vater –!“

Sein Erzeuger spreizte seine Ohren zur Hälfte auf. Evron drückte seine schnell so weit wie möglich zusammen. Er schluckte schwer und verbeugte sich,
„Natürlich, Vater.“

Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sich umdrehte und hinausging, um sich der schmerzhaftesten und schändlichsten Prozedur zu unterziehen, die ein Velorianer durchleben konnte. Thallamon hätte fast Mitleid mit ihm gehabt. Doch sein Pflichtbewusstsein ließ eine solche Schwäche nicht zu, also unterdrückte er sie.

Sogar Ruffa war leicht erblasst und hatte seine Falten eingezogen. Zweifellos hatte er die in diesem höchst privaten Austausch enthaltene, an ihn gerichtete Botschaft verstanden.

„Wegtreten“, befahl sein Vorgesetzter mit ausdruckslosem Gesicht und Ruffa eilte davon.

THALLAMON\\ ZUSÄTZLICHE PROBLEME