WWC #01 – WITCH WAY TO SPACE

“Even if you got there undetected, how would you open the gate without a Velorian mage?”

“You’re missing the point!” Glen shook his head, “By opening that bloody Space Gate ten years ago, the aliens flooded our system with magic. We have all the Human mages we need right here.

I’m Glen MacAllister, 96, war hero. Professional thorn in people’s sides.

My bonny daughters got lured into Velorian space, like so many credulous lasses, never to be heard of again.

While most Human governments turn a blind eye in favor of their purses, I finally found someone eager to help.

AI Marshall, infamous governor of Mars, is assembling a crew to man a priceless prototype spaceship rivaling the advanced alien tech.

But the enemy is onto us, and I’m forced to rely on a woman I hate to fight free the last of My crew and get them safely off Mars.

Among them our ‘mage’.

Someone, who’s not who and what she pretends to be…


Say, Witch Way to Space?

—–<<•>>—–

Available on Amazon as ebook, paperback & hardcover right now.

GHOST\\ GESEHEN WERDEN

[Diese Kurzgeschichte spielt direkt nach den Ereignissen in HFC 04]

Nach seiner Schicht saß Ghost auf seiner Koje, starrte ungläubig auf die Datenfolie in seiner Rechten. Emotionen kochten in ihm hoch, als er den knappen Text wieder und wieder las, bis die wichtigsten Wortgruppen spöttisch vor seinen Augen tanzten. Bis sie alles waren, was von dem standardisierten Informationsschreiben übrig blieb.

“Sgt. Ermolai Ronne” und “um Sie zu informieren” und “zwei Wochen Trinkrationen gekürzt” und “außerdem gilt eine sechsmonatige Beförderungssperre”.

Die eigentliche Ohrfeige war der Satz: “Da Sie während eines Hochrisikoeinsatzes erstarrten und Anzeichen eines drohenden Nervenzusammenbruchs zeigten, hält Ihr Vorgesetzter Sie für ungeeignet, in naher Zukunft über Ihre derzeitige Position hinaus aufzusteigen”. Er ließ die Haut auf Ghosts Armen erzittern, beschleunigte seinen Herzschlag und trieb dunkle Wolken in die Ränder seines Blickfeldes.

Es waren nicht die Worte an sich. Nicht wirklich.

Er kannte den Ablauf solcher Vorgänge und wusste, dass Sergey diese Worte höchstwahrscheinlich nicht selbst formuliert hatte. Sein Vorgesetzter hatte seine Einschätzung abgegeben, eine Begründung für seine Entscheidung genannt und erklärt, was er als angemessene Strafe für den begangenen Verstoß erachtete. Irgendein ranghoher Provost, vielleicht sogar Garin selbst, hatte es abgenickt, den Strafzettel ausgefüllt und unterschrieben, und dies alles mit einer Wortklauberei so alt wie die plutonische Republik selbst.

Dem Datumsstempel in der oberen Ecke nach zu urteilen, hatte Sergey die Sache lange bevor er um seine neue Position wusste in die Wege geleitet. Von der Tatsache, dass es in der nahen Zukunft, welche durch das Beförderungsverbot abgedeckt wurde, möglicherweise viele Positionen durch seine Vertrauten zu besetzt galt.

Nein, die Bestrafung war nicht als Beleidigung gedacht.

Doch warum schmerzte es dann, als wäre es einer?

Ghost beobachtete, wie Wellen unsichtbarer Energie über seine dunkle Haut strömten und seine Präsenz dämpften. Was zufällig begonnen hatte, als er noch ein kleiner Junge war, dessen Leben davon abhing, unentdeckt zu bleiben und eins mit seiner dunklen, schmutzigen Umgebung zu werden, hatte sich inzwischen zu einem halbbewussten Prozess entwickelt. Wie schon damals schien seine Fähigkeit, unentdeckt zu bleiben, jedoch eng und untrennbar mit seinem emotionalen Zustand verbunden. Ein Grund, warum er so intensiv Selbstbeherrschung und Selbstreflexion trainierte. Dass der Infiltrator durchaus stolz auf seinen Fortschritt war, mochte der Hauptgrund für seinen momentanen Frust darstellen.

Er hatte kläglich versagt.

Das Geräusch winziger Füße in den Decken der verfluchten Piratenstation hatte ihn aus der Realität gerissen und schnurstracks in die Vergangenheit zurückgeworfen. Seinen Kampf-oder-Flucht-Instinkt bis zum Anschlag aufgedreht, war er wieder der verängstigte kleine Junge gewesen, unfähig, Vernunft oder das große Ganze zu sehen, unfähig, seinen Gegenüber klar zu verstehen. Das hatte nicht nur dazu geführt, dass er erstarrte und dadurch Mission und Kameraden gefährdete. Nein … Er hatte seinen Vorgesetzten schwer beleidigt. Seinen besten Freund. Er hatte ihn, wenn auch nicht mit so vielen Worten, ein Monster genannt.

Das war es nicht, was Sergey gestört hatte. Nach irgendwelchen regenbogenscheißenden Einhornmaßstäben waren sie alle auf ihre eigene Weise Monster. Rücksichtslose Killer und Witwenmacher. Einige der erbarmungslosesten Kampfhunde, welche das plutonische Militär zu bieten hatte.

Nach ihren eigenen Maßstäben waren sie ganz normale Männer, die ihren Job machten.

Nein, die Beleidigung lag in der Art des Monsters, das impliziert wurde. Ein unentschuldbarer Fehltritt.

In Anbetracht der Umstände war Sergey ziemlich ruhig geblieben. Hätte er Ghost mit seiner metallenen Rechten die Fresse eingeschlagen, hätten die meisten ihrer Kameraden den Impuls verstanden. Der Gedanke an Sergeys Zurückhaltung, sowohl bei seiner unmittelbaren Reaktion als auch in der Wahl der Bestrafung, ließ Ghost sich noch schlechter fühlen. Seine Glieder begannen leicht zu kribbeln und seine Farbwahrnehmung verdunkelte sich, was die fünf einfachen, zweistöckigen Kojen – auf einer davon saß er – und den kleinen Tisch in der Mitte des Raumes optisch auslaugte.

“Ich glaube nicht, dass es persönlich gemeint ist”, ertönte eine ruhige Männerstimme aus der oberen Koje.

Scheiße, er hat gedacht, er wäre allein …

Ghost blickte hoch. Doch natürlich war da nichts weiter zu sehen als die massive, an der Wand verankerte Platte. Vorhin hatte er darauf eine dunkle Form wahrgenommen, bei der es sich genauso gut um zerknüllte Decken hätte handeln können. Irgendein ferner Teil seines Verstandes hatte das als einen tadelnswerten Mangel an Ordnung empfunden. Der Rest seines Verstandes war zu sehr mit seiner eigenen Bestrafung beschäftigt, um sich darum zu scheren.

“Doch das weißt du”, fuhr Jake Echohawk in einem geschmeidigen Plauderton fort, als auf seine erste Bemerkung keine Antwort kam.

Natürlich weiß ich das, verdammt noch mal!, dachte Ghost, Ich kenne ihn schon eine Ewigkeit; du bist erst seit ein paar Monaten dabei!

Doch er sagte es nicht. Es machte ohnehin keinen Unterschied. Wenn er so weit verschleiert war, hörte ihn sowieso niemand mehr. Tatsächlich war das seine größte Angst. Dass er eines Tages einfach aus diesem Leben verblassen würde, aus der Realität selbst. An einen Ort rutschte, an dem ihn niemand sah oder hörte. Wo niemand überhaupt wüsste, dass er einmal existierte. Wo er schreien und toben könnte und die Leute einfach durch ihn hindurchliefen, unbehelligt von seiner Anwesenheit und ohne von seinen Mätzchen etwas mitzubekommen. Dass er eines Tages wirklich ein Geist werden würde.

Die weitere Erregung dieses Albtraums laugte die letzten verbliebenen Farben aus dem schwach beleuchteten Raum. Die Bilder und Illustrationen, welche Quansah an der Wand neben seiner Koje aufgehängt hatte, wirkten wie alte Schwarz-Weiß-Bilder. Seine Familie nur eine Ansammlung dunkler Flecken auf weißem Grund.

Ghost schluckte, als Panik in ihm aufstieg und seine Brust einschnürte. Obgleich ihn die plötzliche Klaustrophobie wie ein Vorschlaghammer traf, fühlte er sich unfähig, sich zu bewegen, um von der Koje in den offenen Raum in der Zimmermitte zu rutschen.

Eine quälende Ewigkeit herrschte Stille, bevor Jake sich bewegte, von seinem Schlafplatz rollte und wie ein Ninja geduckt auf dem Boden vor Ghosts Koje landete. Er trug eine locker sitzende, dunkle Hose, sonst nichts. Mit geneigtem Kopf, als würde er auf etwas lauschen, ließ der jüngere Mann seine Augen durch die Schatten in der unteren Koje schweifen. All die kleinen Muskeln unter seinen Augen bewegten sich, als diese sich zu Schlitzen verengten. Die dunklen, weiß hinterlegten Kreise zoomten mehrmals aus und ein und streiften den anderen Mann unsehend. Einen Moment lang brodelte eine eigentümliche Neugierde in Ghost auf. Wenn er eine Hand ausstreckte, würde sie durch seinen Stellvertreter hindurchgehen? Wie unbezahlbar wäre der Gesichtsausdruck des anderen Infiltrators, wenn er ihn jetzt auf seinen Hintern stoßen würde?

Der Gedanke war kurz und flüchtig und ging in der unerwarteten Panik unter wie ein Papierschiffchen im Haupteinlass der Abfallentsorgungsanlage einer Raumstation. Trotzdem lockerte sich die Anspannung in Ghosts Brust ein wenig.

Als er einen langen, flachen Atemzug nahm, entspannte sich auch Jake etwas und richtete sich langsam auf. Er griff unter seine Matratze und seine Hand kehrte mit einem großen Kartenspiel zurück.

“Ich habe nie an Magie geglaubt, weißt du”, der schlanke Mann zog den nächstgelegenen Stuhl am Tisch heraus und setzte sich so, dass seine Silhouette zur Hälfte zwischen Ghost und der Tischplatte ausgerichtet war, auf welcher er mit flinken Fingern die Karten zu mischen begann. Ihm dabei zuzusehen war sonderbar fesselnd, ja geradezu entspannend. Von dem anderen Mann ging eine angenehme Ruhe aus, ähnlich einer warmen Brise, welche aus einem Heizungsraum weht.

“Meine Oma hat mir viel erzählt”, ein leises Lachen, “über alle möglichen Kreaturen, Legenden, … die Geister der Ahnen”, er sah von seinen Fingern auf und direkt in Ghosts Augen, “Ich glaubte nie etwas davon. Ich meine, sicher… man hört vom seltsamen Wissen der Voidpriester, sieht diese ‘Kriegsmagier’ in Vids, aber… das ist alles so… weit weg. Es fühlt sich so unecht an, mit all dem Drama und so. Aber das Mädchen… Du hast gesehen, was sie im Hangar angestellt hat. Das war schon was. Das lässt mich über all diese Geschichten zweimal nachdenken.”

Jake stoppte seine Worte und lauschte. Ghost spürte, wie sein Herzschlag sich beruhigte und die Enge in seiner Brust nur noch den Überbleibseln eines schlechten Druckausgleichs im Raumanzug ähnelte. Ein wenig Farbe kehrte zurück, die Haut des anderen Mannes nahm eine verblasste Version ihres üblichen kupferfarbenen Tons an.

Mit einem Nicken fuhr Jake fort, den Blick wieder auf seine mischenden Hände gerichtet: “Sie hatte auch eine über einen unsichtbaren Mann. Er war keineswegs wie du. Wenn ich mich recht erinnere, war er ein Sterblicher aus alten Zeiten, der etwas getan hatte, was den Trickster-Gott erzürnte. Und da er der beste Jäger seines Dorfes war, stolz darauf, sich unbemerkt an seine ahnungslose Beute heranzuschleichen und sie aus heiterem Himmel zu töten, beschloss der Gott, diesen Stolz mit einem bösartigen Geschenk zu vergelten: Er sorgte dafür, dass niemand den Jäger sehen, hören oder berühren konnte. Der arme Sterbliche war überglücklich über dieses Geschenk, denn er ahnte nicht, dass es nicht nur für seine Feinde und seine Beute galt. Nie wieder würde er von denjenigen gehört, gesehen oder berührt werden können, die er liebte und die ihm etwas bedeuteten. Nur sein Zwillingsbruder merkte noch, wenn er in der Nähe war. Er saß da und lauschte auf seinen Herzschlag und konnte manchmal gerade noch seinen Atem spüren. In diesen Momenten versuchte der Bruder, mit dem Jäger zu reden, ihn mit langen Geschichten und gemeinsamen Erinnerungen zu unterhalten, um den Schmerz zu lindern, von dem er sicher war, dass sein Bruder ihn fühlte. Doch vergeblich. Eines Tages ging der Jäger fort, und niemand konnte sagen, wohin. Ob er sich entschlossen hatte, seine schreckliche Halbexistenz zu beenden, oder ob er vielleicht auf alle Ewigkeit ziellos durch die Welt irrt, auf der Suche nach jemandem, den er berühren und mit dem er reden kann.”

Ghost war sich nicht sicher, was es mit der Stimme oder der Geschichte des anderen Mannes auf sich hatte, das ihn immer ruhiger werden ließ, doch aus irgendeinem unerklärlichen Grund spürte er, wie sein Geist mehr und mehr in sich selbst zurückfand. Schließlich fiel ihm das Atmen wieder leicht und trotz des anhaltenden Dämmerlichts erstrahlte der Raum erneut in voller Farbe. Scham überkam ihn. Wie hatte ihm das nur passieren können? Er war dem, was auch immer auf der anderen Seite seiner Gabe lag, noch nie so nahe gekommen. Und es jagte ihm eine Heidenangst ein. Wieso hatte er das nur zugelassen?

Zum Glück drängte Jake nicht. Stattdessen drehte er sich mit dem Gesicht zum Tisch und zählte langsam Karten auf zwei Stapeln zu je dreizehn Stück ab. Erst als Ghost auf die vordere Lippe der Koje rückte, fragte er: “Also, Boss, hast du Lust auf Rommé? Ist doch ein nettes, entspannendes Spiel, oder?”

Sein Vorgesetzter räusperte sich und stand auf, um hinüberzugehen: “Sicher. Zwei Münzen?”

“Das kann ich decken.”

Jake überließ ihm die Wahl der Stapel und sie spielten ein halbes Spiel, bevor Ghost schließlich murmelte: “Wäre schon peinlich gewesen, hättest du grad nur mit der Luft geredet.”

Sein Zweiter grinste auf diese herausfordernde Art, welche Sergey in den falschen Momenten schlichtweg auf die Palme zu jagen vermochte: “Ich habe dich reinkommen hören. Ich habe gehört, wie du erst … wütend wurdest und dann … ich weiß auch nicht. Um ehrlich zu sein, hat es mir eine Gänsehaut eingejagt. Du bist sonst immer so ruhig und gefasst.”

Aber wie hatte er das angestellt?

Ghost blickte von seinem Blatt auf, studierte den anderen Mann wortlos. Auf Jakes nacktem Oberkörper prangte ein wunderschönes Tattoo mit mehreren Rosen, deren Blütenblätter in einem unsichtbaren Wind davonwehten, welches sich um seine Schulter schlängelte und seine linke Brust, seinen Rücken und seinen Bizeps bedeckte. Auf seinem rechten Arm befand sich eine äußerst realistische Darstellung eines Falken, der auf einem Ast saß und kritisch in die Welt starrte.

Schließlich ließ Jake die Karten sinken und zeigte auf sein rechtes Ohr: “Meine kleine Schwester wurde blind geboren. Sie hat mir beigebracht, wie man zuhört. Die meisten Menschen machen sich nie die Mühe. Sie merken nicht, was ihnen entgeht, wenn sie sich darauf verlassen, dass ihre Augen ihre Welt für sie malen. Sie lernen nie, still genug zu sein, um die subtilen Verschiebungen in der Luft wahrzunehmen.”

“Verstehe”, Ghost nahm den Karo-Buben vom Ablagestapel. Noch zwei Karten und er hatte eine volle Straße.

Er war schon immer davon überzeugt gewesen, dass Echohawk irgendwie besonders war. Seine Testergebnisse waren durchweg exzellent und er war hochmotiviert und mit den besten Empfehlungen zu ihrem Platoon gestoßen. Außerdem bildete seine umgängliche Art einen angenehmen Kontrast zu der stoischen Weltanschauung des oft wortkargen, älteren Mannes. Sie bildeten ein gutes Team, auch wenn sie kaum etwas übereinander wussten.

“Warum bist du hier?”, Ghost hatte diese Frage bereits bei ihrem ersten Treffen gestellt, und Jake hatte ihm irgendeine abgedroschene, schnell vergessene Plattitüde aufgetischt.

Diesmal wollte er die Wahrheit.

Jake zog eine Karte, grübelte ein paar Sekunden und legte sie dann ab. Herz-Fünf. “Willst du die kurze oder die lange Version?”

“Gib mir die kurze Version der ganzen Geschichte.”

“Ich habe einen Mann getötet”, Echohawks Tonfall wirkte nachdenklich, “einen einflussreichen, wohlhabenden Mann. Zumindest in seinem kleinen Teil der Leere. Aufgrund der Umstände hätte niemand die Provosts gerufen, doch ich musste für eine Weile untertauchen. Um den Druck von meiner Familie zu nehmen. Also ging ich zum Militär und stellte fest, dass es mir zusagte. Dort konnte ich mich endlich als nützlich erweisen. Zum Leidwesen meines Vaters war ich nie gut in Sachen Bergbau oder Buchführung.”

Richtig, Ghost erinnerte sich daran, in Echohawks Akte gelesen zu haben, dass er seine Jugend auf einem kleinen nomadischen Bergbauschiff außerhalb der plutonischen Republik verbracht hatte und noch im Begriff war, ein vollwertiger Bürger zu werden. Er hatte also in seiner Jugend nie die obligatorische militärische Ausbildung genossen. Nach der dreijährigen Grundausbildung begann er die Spezialausbildung zum Infiltrator, welche er in bemerkenswerten eineinhalb Jahren abschloss. Mehrere Jahre Dienst in einem anderen Regiment folgten. Eine steile Karriere mit schnellen Beförderungen. Echohawk war das absolute Gegenteil von den üblichen Übeltätern und Querschlägern, welche Col. Phoenix sonst so gerne in ihrem Platoon ablud.

Der Truppführer ließ die Fünf auf dem Ablagestapel liegen und zog eine neue Karte.

“Ich hatte immer noch das Gefühl, dass mir etwas fehlte, dass ich nicht ganz gefunden hatte, wonach ich suchte,” fuhr Jake fort, “Eines Tages hörte ich von einem Mann, der so gut darin war, ungesehen zu bleiben, dass ihn niemand fangen konnte. Ein waschechter Geist. Da wusste ich, dass ich diesen Mann treffen wollte. Dass ich ihn dazu bringen musste, mich zu unterrichten. Also habe ich mir den Weg durch die halbe örtliche Verwaltung geflirtet, mir die nötigen Qualifikationen verschafft und meinen Wunsch in die Tat umgesetzt.”

“Einfach so?”, mit einer hochgezogenen Augenbraue legte Ghost die Pik-Zehn ab, obwohl er vermutete, dass der andere Spieler Zehnen sammelte.

Jake nahm sie mit einem leichten Schulterzucken auf.

“Menschen sind nun mal Menschen. Jeder mag es, wenn man ihm zuhört”, seine dunklen Augen trafen Ghosts, “Es sei denn, sie wollen Antworten, versteht sich.”

Sie spielten noch ein paar Runden, in welchen die von Ghost benötigten Karten bedauerlicherweise ausblieben, während Jake seine Strategie mehrmals zu ändern schien. Er schob die Karten auf seiner Hand hin- und her, tauschte gut ein Drittel davon aus. Manche sogar mehrmals. Ließ er seinen Vorgesetzten etwa gewinnen?

“Du willst also, dass ich dir beibringe, wie ich es mache?”, brach der dunkelhäutige Mann schließlich das Schweigen.

“Nein”, der Corporal schüttelte den Kopf, “du hast eine besondere Gabe. Was ich nicht habe, kannst du mir nicht beibringen.”

“Also waren deine Bemühungen, in diese Einheit zu kommen, umsonst”, endlich: die vorletzte Karte.

“Im Gegenteil”, Jake griff nach der Pik-Acht, von der sich sein Vorgesetzter trennte, “du hast mich gelehrt, meine eigene Gabe zu entwickeln. Und das tust du noch immer. Vor einem halben Jahr hätte ich deine Wut oder deinen Kummer nicht wahrgenommen, wäre nicht in der Lage gewesen, sie zu benennen. Dich zu hören ist die größte Herausforderung, die mir bis jetzt begegnet ist. Doch es ist machbar. Ich habe gesehen, dass Federov es kann. Er weiß immer, wenn du da bist.”

“Allerdings”, das kleine Lächeln schmerzte aus irgendeinem Grund, “Ihn konnte ich noch nie täuschen. Glaub’ mir, ich habe es versucht.”

“Und bist du an den Versuchen gewachsen? Hat er deine Messlatte höher gelegt?”

“Das hat er”, Ghost lachte, “er legt die Messlatte für uns alle höher.”

“Dann bleiben wir also?”, Jake zog eine Karte, ordnete sein Blatt neu und legte alles fein säuberlich auf den Tisch. Vier Asse, drei Zweien und eine kleine Straße. Schließlich warf er die letzte Karte auf den Ablagestapel. Ghosts letzte Karte. Karo-Zehn.

Der andere Infiltrator stutzte: “Wie meinst du das?”

“Ich meine, mit deinem Hintergrund und deinen Fähigkeiten könntest du problemlos in eine andere Einheit wechseln. Du könntest zweifelsohne mühelos auf Federovs früheren Posten aufsteigen, kaum dass die halbjährige Wartezeit vorbei ist.”

“Und du würdest mir zu einer anderen Einheit folgen?”, Ghost erwog die vor ihm liegenden Karten.

“Sicher, ich bin noch nicht fertig mit dem Lernen”, ein selbstgefälliger Zug schlich sich in Jakes Grinsen, “Doch warum solltest du? Auch wenn die letzte Mission übel schief gelaufen ist, glaube ich nicht, dass du mit dem Lernen fertig bist. Ich glaube nicht, dass du deinen Freund ohne dich in ein unbekanntes, feindliches Sonnensystem segeln lässt. Egal, wie schlecht du dich vor einer halben Stunde gefühlt hast, wird das in einem halben Jahr noch eine Rolle spielen? In einem Jahr? In zwei?”

Würde es?

“Du bist ein Stratege. Du bist geduldig. Du planst auf lange Sicht”, Jake tippte auf den Ablagestapel, “Das ist die lange Sicht.”

“Simmt”, mit einem unerwartet leichten Gefühl hob Ghost die Karte auf, schob sie in seine Hand und legte das Ganze auf den Tisch, “Ich denke, du hast recht. Und ich denke, ich könnte auch etwas von dir lernen. Danke, Jake.”

“Kein Problem, Boss”, augenzwinkernd sammelte sein neuer Freund alle Karten ein und begann, sie neu zu mischen, “Lust auf eine weitere Runde? Doppelt oder nichts?”

“Sicher. Aber dieses Mal gebe ich.”

Das Fest der Lichter

“Seid Ihr sicher, dass das eine gute Idee ist, Meister?”, mit wildem Blinzeln, um die hellen Punkte aus meiner Sicht zu vertreiben, starrte ich den dunklen Tunnel hinab. Hier war es unerwartet kühl, die brennenden Sonnenstrahlen, welche die Wüstenlandschaft in meinem Rücken staubig und kahl hielten, schlagartig abgeschnitten.

Allarand enthielt sich einer Antwort und schritt mit der Selbstverständlichkeit eines Wächters vorweg in die lichtlose Tiefe. Sicher, ihm konnte schließlich nichts etwas anhaben. Mir hingegen …

Für einen Moment überlegte ich, am Höhleneingang zu warten, denn einige der Wesen, die wir hier anzutreffen hofften, konnten noch deutlich größer werden, als ich es war. Und sie waren hier zuhause.

Und …

“Singvogel, kommst Du!?”

… und mein Meister hatte gesprochen.

Einen bestärkenden, tiefen Atemzug später sprintete ich hinter ihm her. Meine Krallen gruben sich in die von reger Überwanderung verdichteten Erde, während ich die abgeschliffenen Wände argwöhnisch betrachtete. Schon nach wenigen Flügellängen fiel die Temperatur so weit, dass sich mein Federkleid sanft aufbauschte, um dem entgegenzuwirken. Wenigstens gab mir meine schwarze Färbung einen natürlichen Schutz in der Dunkelheit und auch meine auf konstantes Halbdunkel ausgelegte Sicht passte sich schnell an. Allarand nickte zufrieden, als ich zu ihm aufschloss, die orangefarbenen Lichtringe in seinen Augen merklich gedämpft. Es war ein innerer Kampf, den respektvollen halben Schritt zurückzubleiben.

“Was weißt Du über unsere Gastgeber, Singvogel?”, fragte mein Meister.

“Die Käfer sind … ähm … eine intelligente, insektoide Spezies und leben in großen Familien zusammen”, ich dachte an die schreckhaften Rindenläufer auf meinem Heimatplaneten und konnte mir das mit der Intelligenz nicht so recht vorstellen.

“’Familien’ ist nicht unzutreffend, da eine Kolonie von ein bis drei Matriarchinnen begründet wird, welche in der Regel miteinander verwandt sind. Sie selbst bezeichnen sich jedoch als ‘Gemeinschaft’”, ein sanfter Schimmer lief über seine metallene Haut, “Ihre Intelligenz ist nur ein faszinierender Aspekt an dieser Rasse. Intelligenz, Individualität und Spezialisierung von Aufgaben verhalten sich kongruent zueinander und sind von der ihnen zugedachten Arbeit abhängig. Dabei ist die Kausalität noch immer nicht eindeutig geklärt.”

Mit einem verwirrten Blinzeln suchte ich nach der unerwarteten Lichtquelle, “Also … ob sie aufgrund ihrer Intelligenz eine Aufgabe bekommen oder an der Aufgabe klüger werden?”

“Korrekt. Und der Name ihrer Spezies ist Shi’Thrass”, Allarand lächelte milde, auch wenn sein Ton eine subtile Schärfe enthielt, “Du möchtest doch unsere Gastgeber nicht beleidigen, indem Du eine derart derivasive Beschreibung wie ‘Käfer’ benutzt, oder?”

Für einen Moment überlegte ich, ob ich etwa meine Stimmbänder benutzt hatte. Nein, definitiv nicht.

“Aber nur Ihr könnt doch meine Gedanken hören,” verteidigte ich mich stumm, “und auch nur, wenn ich sie direkt an Euch richte?!”

“Höflichkeit und Respekt sollten nicht im Angesicht eines Gegenüber, sondern im eigenen Geist beginnen”, belehrte mich die metallene Gestalt in einem versöhnlichen Ton.

Ich senkte den Kopf demütig. Moment mal … kam der dumpfe, grünliche Schein etwa aus den Wänden? Vorsichtig kratzte ich etwa Erde heraus und ließ sie zwischen meinen Fingern zerbröseln. Doch da war nichts. Merkwürdig …

Allarand führte uns unbeirrt weiter, immer tiefer. Die Wahrscheinlichkeit, dass er schon einmal in genau diesem Labyrinth gewesen war, erschien mir gering. Vielleicht war es sein immenses Wissen oder die Erfahrung unzähliger Jahrtausende, welche seine Schritte lenkte. Oder vielleicht war ein anderer seiner Art, auf dessen Erinnerung er zurückgreifen konnte, vor ihm hier gewesen.

“Im Shuttle spracht Ihr von einem Fest?!”, knüpfte ich schließlich an das vorherige Gespräch an, “Seid Ihr sicher dass wir am richtigen Ort dafür sind?”

Ich sah nur Erde, eine gelegentlich daraus hervortretende, schleimige Substanz und die Feuchtigkeit, welche sich dank der Kälte zunehmend an den Wänden niederschlug. Keine Dekorationen oder andere Gäste, keine Zeichen reger Vorbereitung auf ein großes Ereignis. Ich bekam das unruhige Gefühl, in die Welt der Toten herabzusteigen. Und sollte es nicht wärmer werden, wenn man tiefer in die Erde vordrang?

“Normalerweise sind diese Tunnel erfüllt mit geschäftigem Leben”, Allarand tauchte im Vorbeigehen einen Finger in die milchige Flüssigkeit und betrachtete den Rückstand, als wolle er ihn bis auf die molekulare Ebene inspizieren. Vielleicht konnte er das sogar, “Dass sie es nicht sind, ist ein Anzeichen dafür, dass die Zeit naht. Die Gemeinschaft zieht sich in der Mitte zusammen.”

“Und wir? Weshalb sind wir hier?”

“Wir sind hier, um dem Ende einer Ära beizuwohnen. Und den Beginn einer neuen zu feiern.”

Mein fragender Blick konnte ihn nicht erweichen. Oder vielleicht war er zu abgelenkt. Der Ausdruck auf seinem üblicherweise neutralen Gesicht schwang zu etwas um, dass sich nur als Besorgnis klassifizieren ließ, und vertiefte sich, je länger er auf den Schleim starrte. Seine Schritte wurden schneller.

“Etwas stimmt nicht; der molekulare Zerfall ist zu weit fortgeschritten!”, vor einem großen Durchgang am Ende des Korridors stoppte er und kniete nieder, um einen Stein zu begutachten.

Nein, keinen Stein… Was wie glatter Fels aussah, war in Wirklichkeit ein natürlicher Panzer. Und da waren noch mehr zusammengerollte Gestalten …

“Die Wachen sind in Hungerstarre verfallen,” erklärte Allarand, “So weit sollte es nicht kommen.”

“Sollte was nicht kommen?”, ich vergaß, meine Gedanken zu benutzen und das Trillern meiner Stimme erzeugte ein schrilles Echo, welches den Gang hoch und runter hallte und sich im Raum hinter dem Durchgang verlor.

Er erhob sich und griff meine Hand, “Komm! Vielleicht ist es noch nicht zu spät!”

Gemeinsam sprinteten wir durch den Bogen in eine riesige, gewölbte Halle. Vor uns erstreckten sich zwei Flügelspannen Boden, danach gähnende Leere. Zu meinem Entsetzen folgte Allarand nicht dem sanft zur Seite abfallenden Weg, sondern schoss gradewegs auf den Abgrund zu. Meine Versuche, anzuhalten, hinterließen lediglich verzweifelte Kratzfugen in der Erde. Sein Griff glich einem Schraubstock und mit der übernatürlichen Kraft einer Maschine zog er mich vorwärts.

“Allarand, ich kann nicht mehr fliegen!”, mein Kreischen verlor sich in der undenkbaren Weite des Raums, “Ihr habt mir die Flügel amputiert!”

“Und das werde ich niemals vergessen”, seine Hände wechselten die Position und ich fühlte meinen Oberkörper gestützt, als wir von der Klippe schnellten.

Kräftige Flügel brachen aus seinem Rücken hervor. Metallene Federn spreizten sich weit, um die aufdriftende Brise einzufangen. Mit zwei Schlägen distanzierte er sich von der Klippe, verharrte dann in einem sanften, spiralförmigen Segelflug. Kritisch betrachtete er die Szenerie unter uns. Der Raum fiel zur Mitte hin in gigantischen, ringförmigen Treppenstufen ab. Auf jeder Stufe lagen mehr der glatten Panzerhaufen, als ich zählen konnte. Verschiedene Sorten davon. Und obgleich alle Stufen mit eng aneinandergedrängten, zusammengesunkenen Gestalten gefüllt waren, wurden es zur Mitte sowohl weniger als auch größere Exemplare.

“Sind … sind sie tot?”, ich musste meine Nase vor dem dumpfen, schweren Gestank lang veratmeter Luft verschließen.

“Einige mit Sicherheit”, die seiner Rasse auferlegte Neutralität hatte in Allarands Stimme zurückgefunden, “Doch die meisten befinden sich lediglich in einem Zustand maximaler Ressourceneffizienz.”

“Sowas wie Kältestarre?”

“Korrekt.”

In der Kuhle genau im Zentrum, an der tiefsten Stelle des Raumes, befand sich eine einzelne, alle anderen überragende Gestalt.

“Die Matriarchin!”, Allarand korrigierte die Stellung seiner Flügel und wir stürzten abwärts, gradewegs auf sie zu. Im letzten Moment zog der Wächter hoch. Dann setzte er meine zitternde Gestalt sanft auf dem Boden ab und landete neben mir.

Borkenmist! Ich hatte genug gewagte Flugmanöver in meinem Leben absolviert, um dem Kräfteeinfluss mehr als gewappnet zu sein. Es war die fehlende Kontrolle über meine eigene Bewegung, welche mir die Knie schwach werden ließ und die Federn aufplusterte. Nun … das und …

Von der schwerfälligen, plumpen Gestalt vor uns strahlte knochentiefe Kälte aus. Der modrige Geruch des Todes füllte meine Lunge und ließ mich würgen. Ihr Panzer wirkte papierdünn und gradezu ausgebleicht. Dunkle Schemen bewegten sich träge darunter. Eine schleimige, brackige Flüssigkeit sickerte aus den zahlreichen, vor Trockenheit aufgerissenen Stellen in Richtung Boden. Ihre Form ähnelte der einer flügellosen, auf der Hälfte zerteilten Libelle: der runde Kopf war durch einen kaum sichtbaren, dünnen Hals mit einem größeren, kugelförmigen Torso verbunden, dessen klare Chitinform in ein langgezogenes, ledernes Hinterteil auslief. Ein großer Felsbrocken hatte die Hälfte ihres Hinterleibs zerquetscht und der Rest war sichtlich aufgebläht. Ein schwaches Licht strahlte aus ihrer Gestalt, hauptsächlich aus dem großen schwarzen Fleck im Anfang des Hinterleibs. Ich schaute alarmiert nach oben, doch der schwache Schein war nicht genug um zu erkennen, von wo der Stein gefallen war … und ob noch mehr folgen könnten.

Allarand trat näher heran. Eine Reihe zischender Klicktöne verließen seinen Mund.

Die Technik in meinem Kopf übersetzte hilfsbereit: “Nachwuchsreiche Matriarchin. Bitte entschuldigt, dass meine Gehilfin und ich ungebeten Euer Heim betraten.”

Ein einzelnes Auge, halb so groß wie ich, brauchte zwei Anläufe, um zur Hälfte aufzublinzeln. Darunter befand sich eine angegraute, spiegelglatte Fläche. Das Lid zog sich noch etwas höher als sie ihn erkannte.

“Ehrenwerter Wächter?!” obgleich schwach und verzagt, erfüllten ihre Klicklaute den ganzen Raum mit ihrem Echo, “Träume ich?”

“Nein, ich bin hier”, dem etwas leeren Ausdruck seiner Augen nach unterzog Allarand sie soeben einem Scan, “Durch Zufall.”

“Schicksal!”, widersprach die Alte, “Bitte, Ehrenwerter! Werdet Ihr mir helfen meinen Nachwuchs auf die Welt zu bringen und somit meine Gemeinschaft retten?”

Der Wächter ging hinüber zu der Stelle in ihrem Hinterleib, hinter welcher der schwarze Schemen auszumachen war. Auf die Berührung seiner Hand hin zitterte die Haut und der Schemen bewegte sich.

“Sie lebt”, hauchte die Matriarchin, “Ich kann es fühlen. Sie kommt nur nicht heraus. Sie ist noch zu schwach, um aus dem Kanal auszubrechen. Bitte, Ehrenwerter! Meine Zeit ist beinahe um!”

“Allarand, warum zögert Ihr?”, ich konnte es mir denken, doch die genauen Grenzen der seiner Rasse auferlegten Regeln waren mir noch immer unklar, “Ihr habt mich gerettet. Warum nicht sie?”

“Es ist nicht dasselbe”, widersprach er in meinem Kopf, “Die Berechnung der Auswirkungen eines einzelnen Lebens auf das Universum ist relativ einfach im Gegensatz zu dem einer ganzen Gemeinschaft.”

Ich trat näher heran. Mein Blick zuckte unruhig zwischen dem einen Leben unter seiner Hand und dem steinernen Ausdruck in seinem Gesicht hin und her.

“Wächter sind Beschützer”, beharrte ich auf die allerorts bekannte Wahrheit.

“Wächter sind neutral,” hielt er dagegen, “Wir halten das Gleichgewicht. Wir greifen nur ein, wenn es bedroht ist oder unser Eingreifen keine Konsequenz darauf hat.”

“Und woher könnt ihr das wissen? Woher wisst ihr, ob ein Volk mehr Auswirkungen hat als ein einzelnes Leben?”

Er zuckte mit den Schultern, “Wahrscheinlichkeitsrechnung. In mehreren Dimensionen. Soetwas benötigt Zeit und Sorgfalt.”

“Aber sie hat keine Zeit!”, ich zeigte auf den dunklen Schatten, dann auf den Rest des Raumes, “Sie alle haben keine Zeit! Und wenn Ihr nichts tut, ist das auch eine Entscheidung!”

“Eigentlich wäre ich nicht hier”, sinnierte er, “Ich bin nur hier, um Dir etwas zu zeigen.”

“Dann rettet sie und zeigt es mir!”, meine Stimme hallte laut durch die Kuppel, die sich überschlagenen Echos überlagerten einander, bauten sich zunehmend auf. Ein leises Grollen und Zittern ging durch die Erde. Kleine Steine und Felsbrocken rieselten von der Decke. Verängstigt und schwach zuckte die Matriarchin zusammen. Ich stolperte instinktiv gegen die gigantische Gestalt, als ein Schwall Erde direkt in meinem Rücken herabregnet. Allarand bewegte sich keine Federstärke.

Entgegen meinen Erwartungen fühlte sich die Haut unter meinen Händen warm und weich an. Trocken, sicher. Aber es war als konzentrierte die gigantische Gestalt all die ihr verbliebenen Wärme, alle Kraft und Hoffnung in diesen einen Punkt. Das Junge auf der anderen Seite der Membran bewegte sich, zuckte schwach und ziellos.

Eine Erinnerung stieg in mir auf. Wie mein Partner und ich uns in jenem schrecklichen Winter an unsere Küken gedrückt hatten, all unsere verbliebe Kraft und Wärme bereitstellten. Wie ich aufgewacht war und zwei meiner drei Kinder sich nicht mehr bewegten. Starr und kalt, all unserem Einsatz zum Trotz.

Sie ist wie ich.

Ich war nicht sicher, ob es die Erinnerung oder die Realisation war, die mir den Atem raubte.

Dieses gigantische, hässliche Ding ist wie ich! Und wenn ich nichts tue, sterben sie alle!

Ohne meine Flügel konnte ich mich nicht in die Luft erheben, also griff ich nach einer Ausbuchtung in ihrer Seite. Ich zog mich daran hoch, griff nach einer weiteren Hautfalte, zog mich höher, immer höher. Die Matriarchin klackerte leise. Dann spannte sich die Haut unter meinen Füßen. Ich stieß meinen Krallen so tief hinein, wie es ging, und ließ mich an der enormen Gestalt herabgleiten. Ich musste es mehrfach wiederholen, bis schließlich der Druck aufgestauter Flüssigkeiten die letzte Membran bersten ließ und sich ein übelriechender Schwall über mich ergoss. Eine eiserne Hand ergriff meinen Oberarm und zog mich aus dem Weg, bevor die herausfallende Gestalt mich überrollen konnte.

Während die alte Matriarchin ihren letzten Atemzug tat, schnappte die neue das erste Mal nach Luft. Der schleimige Haufen verhedderter Gliedmaße öffnete große, schwarze Augen und kämpfte sich auf wacklige Beine.

Allarand erhob sich in die Luft, lautlos wie ein Schatten, trug mich noch über die oberste Stufe hinaus auf einen kleinen, versteckten Vorsprung in der Wand, bevor die Kreatur unsere Existenz bemerken konnte.

“Schau gut hin, Singvogel”, streichelte seine Stimme meine Gedanken.

Die neue Matriarchin krächzte und klickte. Der fremdartige Gesang ihrer Stimme brachte die ganze Kuppel zum Schwingen. Zum Glück löste sich bis auf einige Erdklümpchen nichts mehr von der Decke. Dafür regten sich die zusammengesunkenen Gestalten auf den Stufen. Neben ihr begann der Boden dort, wo die Innereien der alten Matriarchin ihn benetzten, zu leuchten. Das fahle Grün wurde immer stärker, mischte sich mit anderen Farben als es zu allen Seiten wuchs und bald eine Stufe nach der anderen erfüllte.

“Magie!”, flüsterte ich voller Ehrfurcht.

“Biologie”, korrigierte Allarand, “Es ist ein sehr komplizierter, durch spezielle Enzyme im Geburtskanal einer Matriarchin gestarteter Prozess. Das Enzym wird nur gebildet, wenn eine Nachfolgerin in ihr heranwächst, und löst eine Reihe sich aufschaukelnder Mechanismen in den im Boden befindlichen Myzellen aus.”

“My-was?”, ich starrte gebannt auf das atemberaubende Spektakel.

“Pilze,” er zeigte auf eine Stelle an der Wand neben uns. Dort bildete sich gerade eben ein leuchtender Fleck. Er wurde zusehends größer, brach durch und lief schließlich als eine schleimige Substanz zähflüssig daran herab. Im Gegensatz zu dem Schleim, welchen der Wächter auf unserem Hinweg analysiert hatte, war dieser klar und voller biolumineszentem Farbenspiel. Die ersten sich langsam erhebenden Gestalten krochen darauf zu und begannen gierig, den Schleim mit aus ihren Mäulern ausrollenden Rüsseln aufzusaugen.

“Wenn die von einer sterbenden Matriarchin gespendete Wärme nachlässt, lagern die Pilze vermehrt Vorräte ein und ziehen sich in die Erde zurück”, erklärte der Wächter weiter.

“Wie eine Art Winterschlaf?”

“Korrekt,” Allarand zog einen Becher hervor, um die Flüssigkeit darin aufzufangen, “Wenn die exotherme Reaktion vonstatten geht, werden diese Vorräte ausgeschieden, stärken die Shi’Thrass und starten einen neuen Lebenszyklus für beide Spezies.”

“Was haben die Pilze davon?”, fasziniert betrachtete ich, wie auf den zuvor langweiligen Panzern der Trinkenden leuchtende Maserungen in den unterschiedlichsten Farben erstrahlten. Auf der untersten Stufe begann ein wahres Gedränge und Gerangel um die besten Positionen, als die zweitgrößten Shi’Thrass begannen, sich langsam umeinander zu drehen. Sie wiesen die schönsten und verschlungensten Musterungen auf.

Natürlich! Es waren Männchen beim Balztanz!

“Die Shi’Thrass kümmern sich um die Pflege der Pilze und ihre Ausscheidungen begründen deren Nährstoffbasis”, Allarand hielt mir den vollen Becher hin. Ich betrachtete den Inhalt argwöhnisch. Das absolut hinreißende Farbenspiel wollte mich nicht recht für die Konsistenz entschädigen, doch schließlich probierte ich.

“Lecker!”, ich fühlte die beschwingende Wirkung sofort, “Zuckersüß und … vergoren?”

Ich wollte mehr!

“Eine minimal dosiertes, natürliches Halluzinogen”, berichtigte mich mein Meister, “Vollkommen ungefährlich und – bis auf einen kleinen Kater – für Deine Spezies ohne bleibende Nachwirkungen. Ich hatte Dir schließlich ein Fest in Aussicht gestellt. Möchtest Du, dass ich die neue Matriarchin um einen Platz am Ehrentisch bemühe? Immerhin hast Du ihr Volk gerettet, da kann sie es schlecht verwehren.”

Nach einem ausgedehnten Moment der Überlegung schöpfte ich mehr farbigen Schleim in meinen Becher und lehnte mich mit einem entschlossenen Kopfschütteln zurück, um das inzwischen lautstarke Spektakel zu genießen.

“Eigentlich habt Ihr sie gerettet,” sinnierte ich nach dem dritten Becher, “Indem Ihr mich gerettet habt. Mir scheint, Ihr habt Euch damals verkalkuliert.”

Allarand lächelte wortlos.

Der Zorn einer MacAllister

[Spielt etwa 18 Jahre vor Buch 1 der Hexenflug Chroniken, ca. 2 Jahr nach offiziellem Kriegsbeginn]

“Hey Mama, bist du noch in der Stadt?” Aileana Munroe konnte sich ein Schluchzen nicht verkneifen, ihre nasale Stimme verriet ihren körperlichen und geistigen Zustand.

Scheiße, sie war eine verdammte Erwachsene, 24 Jahre alt und seit Jahren unabhängig. Ihre Mutter um Hilfe zu bitten, verstärkte nur noch ihr Gefühl des plötzlichen, persönlichen Versagens. Aber, verdammte Axt, wen hätte sie sonst kontaktieren können?

Aileana könnte natürlich die Polizei verständigen, doch in Anbetracht ihres Verhaltens in der letzten Viertelstunde würde die sie höchstwahrscheinlich in den Knast werfen. Wenn der rückgratlose Mistkerl, der gerade versuchte, die Badezimmertür einzutreten, etwas konnte, dann war es, sich den Arsch abzulügen, um seine eigene Haut zu retten … Nein, ohne professionelle Hilfe würde sie mit Sicherheit hinter Gittern landen, und zwar schneller, als sie gucken konnte!

“Ja”, Mamas Stimme übermittelte sofortiges Verständnis für den unausgesprochenen Ernst der Lage, “Wo bist du, Süße? Was ist passiert?”

“Ich bin zu Hause … Ich … Ich erzähle es dir später. Dave und ich hatten einen … ähm …”

“MACH DIE VERDAMMTE TÜR AUF, DU DRECKIGE FOTZE!”, brüllte der Mann von draußen.

“… sagen wir mal, wir hatten einen heftigen Ehestreit”, Aileana spuckte einen Mund voll Blut in das Waschbecken, “Ich brauche etwas Unterstützung, bitte?! Aber du darfst Paps nichts davon erzählen! Versprich es mir!!!”

Nicht einmal einen Moment des Zögerns, nur das Zuschlagen einer Autotür im Hintergrund, “Sicher. Nur … wie schlimm ist es? Soll ich ein paar Freunde mitbringen?”

Sollte sie das?

Bis vor einer halben Stunde hätte Aileana bei dem Gedanken gehustet, dass irgendjemand, sie eingeschlossen, Hilfe brauchen könnte, um ihren Mann in einem Schlagabtausch zu besiegen … aber bei allem, was sie jetzt über ihn wusste, war vielleicht etwas mehr Vorsicht angebracht.

“WENN DU ES NICHT TUST, WERDE ICH DIE TÜR VON EINER WARTUNGSDRONE ÖFFNEN LASSEN!”

“Vielleicht gar keine so schlechte Idee …”, gab Aileana zu, “Gib mir eine Sekunde, bitte!”

Sie schaltete die Verbindung stumm und brüllte zurück: “OH, VERPISS DICH, DU KLEINER WICHSER!!!”

Dave brüllte etwas zurück, zweifellos einige vage, wenig schmeichelhafte Bemerkungen über ihre Herkunft, doch die junge Frau blendete seine Stimme aus, während sie in den Spiegel starrte. Sie setzte ihre Finger an beide Seiten ihrer Nase, holte tief Luft, schloss die Augen und schob. Als sich der gebrochene Knochen mit einem üblen Knirschen wieder richtete, sprangen ihr noch mehr Tränen in die Augen. Erneutes beherztes Fluchen brachte minimale und doch spürbare Erleichterung. Nachdem sie sich die Tränen und das Blut abgewischt hatte, fixierte sie die Bruchstelle mit mehreren Lagen kinästhetischen Klebebands aus der Schublade unter dem Waschbecken.

VERDAMMTE AXT!!!

Lieber mal kurz hinsetzen …

Dunkelheit drohte ihren Geist einzuhüllen, als Aileana zur Toilette stolperte. Anstatt sich darauf zu setzen, riss sie im letzten Moment den Deckel hoch und kotzte ihr Frühstück geräuschvoll in die Schüssel. SCHEISSE! Entweder hatte sie zu viel Blut geschluckt oder vielleicht war es auch eine verspätete Reaktion auf den Schlag in ihren Magen …

“Schätzchen? Bist du noch da?”, die nervöse Besorgnis ihrer Mutter verbarg sich kaum in ihrer Stimme, “Antworte mir!”

Aileana spuckte einen weiteren Schluck Speichel aus, räusperte und stählte sich, um zu antworten: “Ich bin hier, Mama, es ist alles in Ordnung. Ich bin nur … Ich bin im Moment sicher. Du musst mir nur Dave vom Hals schaffen, damit ich hier weg kann, bitte. Er wird einlenken, sobald es einen Zeugen gibt, da bin ich mir sicher.”

“Okay …”, ein langer Atemzug, gepaart mit einem kleinen Seufzer, “Ich bin in zwölf Minuten da. Also, was genau ist passiert?”

Ja … was war passiert? Wie konnte dieser Tag so schrecklich schief laufen? Das Wochenende war so schön gewesen, mit ihrer Mutter und ihren Schwestern, die zu ihrem 24ten Geburtstag eingeflogen waren, den Touren, die sie gemacht hatten und bei denen Aileana ihnen all die coolen Orte zeigen konnte, die sie in der Stadt entdeckt hatte …

Mom hatte versucht, ihr wieder diesen Anhänger zu schenken, den silbernen mit dem elegant in Szene gesetzten Wappen ihrer Familie, indem sie sagte: “Ein Baum kann nicht nach dem Himmel greifen, wenn er keinen festen Stand hat.”

Wie schon an ihrem 18. Geburtstag, am Tag ihres Schulabschlusses und bei ihrer Hochzeit weigerte sich Aileana, es anzunehmen. Es erinnerte sie einfach zu sehr an Paps. Der schlug grad irgendwelche Aufstände in den Kolonien nieder oder kämpfte im Krieg oder so … und schickte eine Holokarte, nachdem seine älteste Tochter wie üblich seinen Anruf ablehnte. Sie hatte die Karte ungelesen gelöscht.

Trotz dieser beiden Momente war das lange Wochenende absolut großartig gewesen!

Nun, zumindest für sie. Bedachte man sein heutiges Verhalten, hatte Dave es wohl nicht annähernd so sehr genossen …

“Fang einfach von vorne an, Liebes”, ermutigte Mom, als sich die Stille in die Länge zog.

Aileana schmierte mit einem dieser grässlichen Designer-Gästehandtücher mehr Salzwasser, Rotz und Blut auf ihrem Gesicht hin und her, erhob sich schließlich auf zittrige Beine, schloss den Deckel und setzte sich auf die Toilette. Dann spülte sie.

Draußen wurde auch Dave ruhiger. Vielleicht ging seine Energie zur Neige … oder er hatte sich einen besseren Weg ausgedacht, um zu ihr zu gelangen. Oder er ahnte, dass Hilfe nahte, und dachte sich eine Geschichte aus, welche ihn irgendwie nicht als das miese Arschloch darstellte, das er war.

“Weißt du noch, wie ich dir erzählt habe, dass mein Chef mich ohne ersichtlichen Grund hasst?”, begann Aileana schließlich. Das war wahrscheinlich genauso gut wie jeder andere Ansatzpunkt.

“Klar. Du sagtest, dass er dir immer die Nächte oder die langen Schichten und die ekelhafte Arbeit gibt.”

“Genau. Jetzt, wo ich mit dem Studium fertig bin, dachte ich, es würde besser, doch er hat einen Weg gefunden, mich zu entlassen”, Aileana lehnte sich gegen die Fliesen und drehte den Kopf, um die herrliche Kälte über die Wangenhaut aufzusaugen, “Ich konnte nichts dagegen tun. Als ich heute Morgen zur Arbeit kam, waren alle irgendwie düster und ausweichend. Dann bekam ich meine Sachen und eine Kündigung ausgehändigt.”

“Oh nein! Das tut mir so leid, Liebling!”

“Ach, halb so wild … mit meinen Qualifikationen finde ich einen anderen Job”, was sich vor ein paar Stunden noch wie ein weltenerschütterndes Ereignis anfühlte, war irgendwie zu einem bösen Stich in ihrem Selbstwertgefühl geschrumpft, “Es kotzt mich nur an, dass er gewonnen hat, weißt du? Es ist einfach so … unfair!”

“Und, was hast du deswegen unternommen?”


“Bist du sicher, dass du noch einen haben willst?”, die humanoid anmutende Barkeeperdrohne projizierte ein übertrieben mitleidiges Lächeln in ihrem Gesichtsdisplay. Bereits nach den ersten zehn Minuten waren alle einprogrammierten Smalltalkoptionen ausgeschöpft gewesen und nun begann sie auch noch mit der Gesundheitsanalyse.

War halt kein ordentlicher Pub … in den Highlands ihrer Jugend wäre es auch so früh am Morgen kein Problem gewesen, sich unter den Tisch zu trinken. Ohne dumme Sprüche dafür zu ernten. Die kamen erst am Tag danach.

“Ja”, dezent angenervt schob Aileana das Weinglas näher an die Flasche heran, die die mechanische Hand in der Luft hielt, “nach diesem Glas geh ich nach Hause. Versprochen.”

Die Drohne nahm sie beim Wort und füllte ihr Glas auf. Da sie eine von nur drei Gästen zu dieser gottverlassenen Tageszeit war, konnte der Blechhaufen ihr Geschäft kaum abschlagen.

Einer der anderen Gäste, ein untersetzter älterer Herr schaute mit blutunterlaufenen Augen zu ihr rüber. Es schien ihm nicht zu gefallen, eine mäßig attraktive Frau in einem solchen Zustand zu sehen. Oder vielleicht überlegte er auch nur, wie sie wohl nackt aussah. Vielleicht spielte ihr Verstand Aileana auch nur einen Streich. Weshalb sollte sich ein Fremder für ihre Situation interessieren?

Das Arschloch von Chef hatte es definitiv genossen, aber sowas von. Er ließ sie nicht einmal an ihren Arbeitsplatz gehen, sondern händigte ihr ihre Sachen an der Rezeption aus, mit der Drohung, dass der Sicherheitsdienst sie hinausbegleiten würde, sollte sie eine Szene machen. Eine tolle Erfahrung an einem Montagmorgen, wirklich.

Zumindest die beiden Empfangsdamen schienen verhalten angewidert.

Verdammt, Aileana hatte sich wirklich darauf gefreut, endlich anständig für den Scheiß bezahlt zu werden, den sie hier machen musste. Aber vielleicht war dies der Anstoß, den sie brauchte. Vielleicht wäre ein anderer Arbeitgeber, IRGENDEIN ANDERER Arbeitgeber, besser als dieses schlecht geführte Drecksloch, in dem jeder kleine Trottel mit einem Quäntchen Macht diese zum kollektiven Nachteil seiner Untergebenen frei ausüben durfte …

Doch sie war ein Highlanderin und der Stachel der Niederlage brannte heiß in ihrer Brust. Von einem verdammten Halbbürokraten abgesägt zu werden, der keine Ahnung von den Entscheidungen hatte, die sie und ihre Kollegen jeden Tag über Leben und Tod treffen mussten, war zum Verrücktwerden!


“Ich hab mir Wein und Eiscreme besorgt und bin nach Hause gefahren.”

Das war keine Lüge, das hatte sie getan … nachdem sie die Bar verließ.

Sie war gar nicht so betrunken gewesen. Es war ja auch nur Wein. Aber vielleicht, nur vielleicht, hatte es ihre Zündschnur ein wenig verkürzt. Wenn man zudem noch die Kündigung und das, was sie zu Hause vorfand, hinzuzählte, konnte man doch bestimmt selbst einer normalerweise sanftmütigen Frau nachsehen, dass ihr mal die Sicherung durchbrennt, oder?

“Mh-hm”, sagte Mama, die ihr das offensichtlich nicht abnahm, “Und was dann?”


“Alles in Ordnung, Fr. Munroe?”, der pickelgesichtige junge Mann hinter dem Empfangstresen blickte von seinen Holoschirmen auf, als sie zur Vordertür hereinkam.

Aileana blinzelte ihn ein oder zwei Augenblicke verdutzt an und nickte anschließend, “Ja. Wer sind Sie?”

Ihr Mann und sie wohnten schon seit über einem Jahr in diesem Wohnkomplex und sie hatte diesen Typen noch nie gesehen.

“Spencer Stewart”, er streckte ihr die Hand entgegen. Wie im Widerspruch zu seinem Äußeren war seine Bewegung zügig, sein Ton selbstbewusst und ruhig. Und er trug die Livree, die sie gewohnt war, zu sehen, wenn sie hier ein- und ausging. “Ich bin die Vertretung. Joe musste unerwartet aus familiären Gründen abreisen und ich war der Einzige, der zur Verfügung stand. Sie können aber sicher sein, dass ich bei allen Aufgaben, die Sie mir übertragen, die gleiche Qualität und Diskretion an den Tag legen werde.”

“Oh. Gut zu wissen”, Aileana hörte nicht richtig zu, da ihre Gedanken schon wieder abschweiften.

Wie sollte sie Dave diesen Schlamassel erklären? Er ermutigte sie stets, es durchzuziehen, und obwohl er sie auf stille, unaufdringliche Weise unterstützte, wirkte er bei den letzten Malen, als sie versuchte, über ihre beruflichen Probleme zu sprechen, wenig begeistert, ja beinahe abweisend. Andererseits hatte er auch seine eigenen beruflichen Probleme. Über die sie nichts wissen durfte, nicht einmal als seine Ehefrau. Doch sie hatte sich zusammengereimt, dass es wohl mit einem politischen Gegner oder Ähnlichem zu tun haben musste. Und vor ein paar Wochen gab er ihr diese kryptische Warnung, nicht mit Fremden zu sprechen, die Fragen über ihn stellten. Als sie aber nach mehr Details fragte, blockte er ab.

Nun … wenigstens hatte sie viel Zeit, bevor er nach Hause kam, was meist spät am Abend war.

“Soll ich Ihnen einen Lift rufen?”, Spencer Steward deutete auf die Reihe glänzender Metalltüren an der Wand rechts neben seinem Tresen, welche im Moment alle geschlossen waren, die Holonummern darüber erloschen.

“Sicher, danke”, sie nickte, “Zweiunddreißigster Stock, bitte.”

“Ich weiß”, er lächelte deflektierend.

Natürlich führte sein Arbeitgeber Dossiers über jeden, der hier wohnte, sodass das Personal maximal hilfsbereit sein konnte und die hochkarätigen Kunden nicht mit Fragen über für sie selbstverständliche Details belästigte …

Mensch, selbst nach drei Jahren stolperte Aileana immer noch über solche Dinge und hatte das Gefühl, nicht ganz dazuzugehören. Heute mehr denn je.

“Nebenbei bemerkt, Ihr Mann arbeitet heute von zu Hause aus”, teilte Spencer sein hilfreiches Wissen, kurz bevor sich die Lifttüren schlossen.

So ein Mist …

Aileana seufzte und verschob den Karton und die Tüte mit den Lebensmitteln in ihren Armen, um sich das Gesicht zu reiben.

Genau das, was sie jetzt brauchte …

Als das Klingeln des Lifts ertönte und die Türen aufgingen, überlegte sie, ob sie zurück nach unten fahren und ein Spa oder etwas Ähnliches aufsuchen sollte. Einerseits wollte sie ihn nicht überrumpeln und seine Arbeit stören. Andererseits wollte sie nicht hineingehen, sich davonstehlen und so tun, als sei alles in Ordnung, während ihre schlechte Laune in aller Stille an ihrer Seele nagte. Doch die Flucht würde das Unvermeidliche nur hinauszögern. Irgendwann würde sie es ihm sagen müssen und auch wenn er gerne beteuerte, dass er genug Geld verdiene und sie eigentlich gar nicht arbeiten gehen müsse, wusste sie, dass das zusätzliche Einkommen mehr als praktisch war. Außerdem hatte sie ihm schon oft erklärt, dass sie ihren Job nicht wegen des Geldes machte. Dave schien das nie zu verstehen. Doch gerade seine Sichtweise, die so ganz anders war als alles, was in ihrer Familie vertreten wurde, hatte sie dazu gebracht, sich in ihn zu verlieben.

Vielleicht hatte er auch hierzu eine andere Sichtweise, eine, die ihr ein besseres Gefühl geben würde. Er hatte sie schon öfter überrascht …

Schließlich verließ sie den Aufzug und schritt auf die Tür am Ende des linken Korridors zu. Mit einem tiefen Atemzug aktivierte Aileana Munroe die BCI-Erkennung des Schlosses und beobachtete, wie die Tür aufschwang.

Doch was für ein Anblick erwartete sie hinter dieser Tür.


Nachdem sie sich mehrmals räusperte, da sie nicht wusste, wie sie das, was sie bei ihrer Rückkehr nach Hause vorfand, ausgerechnet ihrer MUTTER erklären sollte, seufzte Aileana schließlich.

“Liebes, was ist passiert?”, die Stimme am anderen Ende der Verbindung war immer noch warm und mitfühlend, doch sie enthielt auch diesen ‘Jetzt rück schon raus mit der Sprache’-Ton, welchen jedes Kind zu Genüge kannte.

“Als ich nach Hause kam, war Dave nicht allein”, Aileana schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, dann stand sie auf, um sich ein Glas Wasser aus dem Wasserhahn zu zapfen. Ihr Mund war trocken wie die Wüste, “Seine Sekretärin war auch da.”

Als sie wieder in Schweigen verfiel, murmelte Mama schließlich: “Ich verstehe.”

“Auf dem Küchentisch … Wo ich mein Frühstück mache.”

“Verstehe.”


Nachdem Aileana einen Moment lang verblüfft die Szene vor sich wahrgenommen hatte, bewegte sie sich.

Daves Augen waren geschlossen, seine Ohren wahrscheinlich voll von seinem eigenen Stöhnen, so dass er die neue Person im Raum erst bemerkte, als seine Frau deftig eine Handvoll Haare seiner Sekretärin packte und das Gesicht der erschrockenen Brünetten von seinem Schwanz riss. Das Klappern des Kartons und der Einkaufstüte hallte um sie herum, als Aileana die zierliche Frau aus der Wohnung und direkt zur Treppe zerrte.

“Was zum …”, der benommene Gesichtsausdruck der nackten Frau verwandelte sich in Panik, als sie die Treppe hinunterstarrte, “Was machst du … NEIN! LASS MICH LOS!”

“… DU DRECKIGE, KLEINE HURE!”, beendete Aileana ihre Tirade, von der sie gar nicht gemerkt hatte, dass sie sie schimpfte, mit einem geschickten Tritt in die Kniekehlen der Frau.

Normalerweise war sie kein gewalttätiger Mensch. Ganz im Gegenteil. Doch in diesem Moment schien ihre ganze Sicht von einem roten Schleier überlagert und die Wut brannte hell in ihren Adern.

Die Sekretärin stieß einen spitzen Schmerzensschrei aus und stürzte die Treppe hinunter, wobei sie hilflos mit Händen und Beinen umherwedelte.

Aileana blieb nicht stehen, um zu verfolgen, wie weit sie hinunterrollte, sondern drehte sich auf den Fersen um und stapfte zurück in die Wohnung.

“BIST DU WAHNSINNIG?”, Dave hüpfte auf einem Bein, während er verzweifelt versuchte, in seine Hose zu schlüpfen und den Verschluss zu schließen. Das teure Kleidungsstück war mit Rotwein besudelt, denn die Glasflasche war geplatzt und hatte die Einkaufstüte aufgeschlitzt, so dass sich eine immer größer werdende Lache auf dem Boden bildete.

“ICH??? WAS ZUM TEUFEL, DAVE?”, Aileana kümmerte sich nicht einmal um den Wein, sondern stürmte einfach durch die Pfütze auf ihn zu und verpasste ihm einen Schlag mitten ins Gesicht.

Den Genen ihres Vaters sei Dank war sie mit ihren 1,84 m eine große Frau und hatte seiner kleineren, wenn auch besser trainierten Figur durchaus etwas entgegenzusetzen. Er schüttelte den Schlag schnell ab, bevor er zum reflexiven Gegenschlag ausholte.

Sie wich instinktiv aus. Paps’ Training kam ihr sofort wieder in den Sinn, die Bewegungen, welche sie in ihrer Kindheit immer wieder ausführen musste, waren noch immer fest in ihrem Muskelgedächtnis verankert, obgleich ihr Verstand alles getan hatte, um sie auszulöschen.

“WIE LANGE?”, wollte sie wissen, “WIE LANGE LÄUFT DAS SCHON?”

“ES WAR DAS ERSTE MAL, ICH SCHWÖRE!”, beteuerte er, doch sie konnte die Lüge praktisch spüren.

Ihre Wut verlieh der ohnehin schon großen Frau unerwartete Kraft und sie schlug erneut zu. Dave duckte sich, doch ein Teil von ihr hatte damit gerechnet und ihr zweiter Angriff traf ihn direkt mit einem Aufwärtshaken unter dem Kiefer. Als er sich den Mund hielt und zurückstolperte, konnte sie sehen, wie das Blut heruntertropfte.

“WIE LANGE???”

“FUCK!”, er pflückte einen Zahn aus seinem Mund und starrte ihn an. Jetzt flammte auch in seinen Augen Wut auf und er griff nach einem Messer vom Hackblock, “Du hast einen Zahn ausgeschlagen! Du trampelndes Gnu!”

“Wie hast du mich gerade genannt?”, Aileanas Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen, “Du betrügerisches Stück Scheiße?”

“Meine Mutter hatte recht mit dir!”, jammerte er, “Du taugst nichts! Du weißt verdammt nochmal nicht, wie man sich benimmt! Du bist eine verdammte Schande und es ist kein Wunder, dass ich mit einer Frau wie dir nicht gewählt worden bin! Ich hätte mir einen netten Arsch aus Harvard oder Yale suchen sollen, nicht so eine Idiotin aus dem Hinterland, die nicht mal so tun kann, als wäre sie eine hübsche, hilfsbereite Hausfrau!”

Was jetzt? In welchem verdammten Jahrhundert war er denn plötzlich stehengeblieben?

“Willst du wirklich meine Intelligenz UND meine Herkunft beleidigen?”, knurrte sie.

Sie sah sofort, dass er keine Ahnung hatte, wie man ein Messer benutzt und noch weniger, wie man damit kämpft. Ihr Paps hatte es ihr zwar beigebracht, doch so tief würde sie nicht sinken, also packte sie lediglich das dicke Holzschneidebrett zur Verteidigung.

“Und ob ich das tue!”, brüllte er, “Und mit dem, was du gerade angerichtet hast, werden meine Anwälte ihre reine Freude haben! Du wirst hier als arme Frau rausgehen! Du wirst keinen einzigen Subcredit von meinem Geld sehen!”

“Von deinem Geld? Willst du mich verarschen? Ich war nie an deinem Geld interessiert, du betrügerischer Wichser! Und nebenbei bemerkt: Deine Mutter ist eine fiese, vertrocknete Fotze mit einer himmelhohen Nase und ich habe sie nie gemocht!!!”

Da ging er auf Aileana los. Sie fing sich einen flachen Schnitt am Oberarm, weil sie zu langsam war, um seinen Angriff rechtzeitig zur Seite zu fegen. Es folgte ein Schlag in ihren Magen, bevor er seinen Arm hob, um den Stahl nach ihrem Gesicht zu schwingen. Scheiße, er war stärker, als sie es je von ihm erwartet oder erlebt hatte. Wut funktionierte nicht nur bei ihr, wie es schien …

In einem verzweifelten Versuch, sich zu schützen, erwischte sie sein Handgelenk mit dem Brett und schlug es auf den Tresen. Ein feines Knacken, das vom Brechen winziger Knochen herrührte, hallte durch den Raum, gefolgt von einem schmerzerfüllten Aufschrei. Seine andere Faust holte zur Revanche aus und traf sie genau auf die Nase. Blut spritzte auf ihre Lippen und in ihre Mundhöhle, während Aileana zurückstolperte.

Scheiße, sie konnte diesen Kampf nicht durchhalten!

“Erkenne stets, wann du geschlagen bist”, meldete sich die Stimme ihres Paps unaufgefordert in ihrem Gedächtnis, “wenn nötig, ziehe dich lieber zurück, als eine schwere Verletzung zu riskieren.”

Zu spät, Paps …

Mit einem letzten, verzweifelten Schwung schlug sie das Brett seitlich gegen seinen Kopf, dann drehte sie sich um und rannte davon.

Vielleicht war es die verschwommene Sicht oder ihr verwirrter Verstand, vielleicht war es auch die tiefe Angst, dass sie nicht in der Lage sein würde, ihm davonzulaufen, die sie dazu drängte, sich zu verbarrikadieren, anstatt zu riskieren, auf der Treppe überholt zu werden. Auf jeden Fall stolperte sie nicht zum Eingang, sondern stürzte ins Gästebad, schlug die Tür hinter sich zu und commte die erste Person, die ihr einfiel.


“Bleib ruhig, Schätzchen, ich bin praktisch vor der Tür”, beruhigte Mom. “Ich habe einen Freund angerufen, er wird gleich hier sein. Paps kennt ihn nicht. Es wird alles gut werden. Du wartest noch ein paar Minuten, okay?”

“Okay”, die Enge in ihrer Brust ließ ein wenig nach.

“Gut”, antwortete Mom, ganz sachlich, “Okay, was macht Dave jetzt? Ist er noch in der Wohnung?”

“Ich …”, Aileana wurde plötzlich klar, dass sie seit … nun, sie war sich nicht einmal sicher, wie lange sie schon keine Geräusche mehr hinter der Tür gehört hatte. Die Angst stieg wieder in ihr auf und ihre Stimme reduzierte sich auf ein unwillkürliches Flüstern, “Ich weiß es nicht.”

“Spray!”, riss ihre Mutter sie aus ihrer Angststarre, “Schau unters Waschbecken! Ist da sowas wie Reinigungsspray, Deo, Lufterfrischer? Irgendwas, das die Augen irritiert? Ein Pfeffersprayersatz?”

Aileana umfasste den Griff und riss in ihrer Panik beinahe das dekorative Unterschränkchen von der Wand … oder zumindest die minimalistische Tür davon ab.

Wo im Haus ihrer Eltern, einem jahrhundertealten, weitläufigen Herrenhaus mit echten, menschlichen Angestellten, all diese Dinge zu finden wären, starrte ihr hier gähnende Leere entgegen. Sämtliche Reinigungs- und Wartungsfunktionen wurden hier von zentral gesteuerten Drohnen übernommen, welche die verschiedenen Stoffe in Tanks mit sich transportierten … oder so ähnlich. Jedenfalls war hier nichts.

Moment, hatte Caley ihr am Wochenende nicht was erzählt über …

Aileana riss die kleine Zierleiste aus Metall von der sowieso schon malträtierten Schranktür, dann suchten ihre Augen die Wand ab, bis sie die kleinen Löcher fand.

Sie rammte die Leiste in die Vertiefung, welche auf eine Öffnungsmöglichkeit hinwies, welche vermutlich normalerweise per BCI getriggert wurde. Ein bisschen Fummeln und Stochern, dann sprang die Verblendung ab und der Lufterfrischer gab einen entrüsteten kleinen Puff parfümierter, geruchsbindender Chemikalien ab. Die kleine Vaporisierungseinheit eignete sich nicht wirklich, um als Sprayersatz zu dienen, aber vielleicht war die grünliche Flüssigkeit in der Glasampulle dennoch …

Aileana tastete ihre Taschen ab. Tatsächlich fand sie einen der Hyposprayköpfe, die sie gelegentlich gedankenverloren dort bunkerte. Ein Grund, den ihr Chef genutzt hatte, um sie des Diebstahls zu bezichtigen und rauszuschmeißen …

Sie brach den Teil raus, der dazu da war, die angeschlossenen Flüssigkeiten so fein zu dosieren, dass man sie durch die Haut hindurchsprühen konnte und erleichterte den Lufterfrischer um seinen Tank. Tatsächlich ließ er sich in den Hypodispenser einlegen, auch wenn die Ampulle einige Millimeter schmaler war.

Hoffentlich zog der Unterdruck dennoch die Flüssigkeit raus.

“Habs!”, meldete Aileana.

“Sehr gut!”, lobte Mom, “Versteck dich!”

“WO DENN?”

“Optimalerweise dort, wo er an dir vorbeigeht und du ihm in den Rücken fallen kannst. Erinnerst du dich an die Überwältigungsübungen?”

“Verdammt, ja … aber …”, Aileana blickte sich in dem kleinen Raum um. Hastige Schritte dröhnten im Flur, dann war ein Kratzen und Klacken am Schloss zu hören.

Dave hatte wohl tatsächlich eine Drohne gefunden, die ihm die Tür öffnete …

“Kein ‚aber’, junge Dame!”, in Moms Tonfall mischten sich strenge Schärfe und Besorgnis, “Verstecken oder Ausweichen, dann Überwältigen! Du weißt, wie das geht! Paps hats dir beigebracht! Nutze deine Umgebung!”

Nutze deine Umgebung …, sie war keine Guerillakämpferin; ihr Job war es, Menschen zu helfen, nicht, sie zusammenzuschlagen!

Aber, verdammte Axt, egal, wie sehr Aileana die Methoden ihres Vaters verabscheute, sie würde sich auch nicht wie eine dummer kleine Zivilistin von ihrem verräterischen Mistkerl von einem Ehemann überwältigen lassen, wenn Hilfe praktisch schon vor der Tür stand! Dave würde keinen Finger mehr an sie legen, nicht mal einen kleinen!

Mit neuer Überzeugung gewappnet, stieg Aileana auf die Toilette und von da aus auf das kleine Waschbecken. Dann presste sie sich gegen die Wand, fixierte den Tank im Hypodispenser mit zwei Fingern und dem Handballen der anderen Hand. Scheiße, wenn das mal gut ging …

Keine Zeit für Zweifel. Die Tür wurde aufgerissen und Dave steckte seine wutentbrannte Fratze in den Raum. Aileana hielt voll drauf und bekam etwa zwei Sekunden sowas wie Spritzer aus dem Injektor, bevor dieser anfing zu stottern und zu sabbern.

Es reichte.

Ihr Mann schrie in überraschtem Schmerz auf. Etwas klapperte zu Boden, als seine Hände reflexartig zu seinen Augen schnellten und er sich zur Flucht wandte.

In einem ungeahnten Anfall sportlicher Geschicklichkeit griff Aileana nach dem Türrahmen und schwang sich auf seinen Rücken. Verzweifelt hielt sie sich fest und versuchte, den Würgegriff anzusetzen. Dave fluchte, die Worte zu schnell und verknurrt, und ihr Geist zu sehr in Panik, als dass sie noch den Sinn der einzelnen Begriffe hätte erfassen können.

Als er ihre Beine um seine Taille nicht zu lösen vermochte, stolperte er in eine halbe Drehung und rückwärts, um sie gegen die Wand zu pressen. Halbblind wie er war, erwischte er den Türrahmen und ein elektrisierender Schmerz schoss Aileanas Wirbelsäule empor.

VERDAMMTE AXT!

“Das Ziel ist nicht, deinem Gegner die Luft abzudrücken,” hallte Paps Stimme in ihrem Kopf wider, “sondern die Arterien, so dass Blut- und somit Sauerstoffversorgung des Gehirns ausbleiben. Die Ohnmacht kommt so viel schneller.”

Eine längst vergrabene Muskelerinnerung fuhr in Aileanas Arme und der Griff saß plötzlich. Daves Wortschwall ging abrupt in ein keuchendes Gurgeln über. Er versuchte, ihr seinen Hinterkopf ins Gesicht zu schmettern, doch sie wich aus.

Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die Kraft aus seinem Körper wich und er in die Knie ging. Auch wenn ihr jede einzelne Sekunde wie eine Ewigkeit vorkam, wartete sie, bis er wirklich erschlaffte und sich nicht mehr rührte.

Und dann noch einen Moment länger.

Über ihre rasselnden Atemzüge hörte die junge Frau gar nicht, wie sich die Vordertür öffnete. Erst als eine bekannte Silhouette auf sie zustürmte, schaute sie auf.

“Es reicht, Liebling, er ist ohnmächtig”, Mama steckte die gezückte Pistole zurück in den Halfter an ihrer Hüfte und legte zwei schmale Hände um die Unterarme ihrer Tochter. Mit nachhaltigem Druck zog sie sie auseinander, “Er kann dir nichts mehr tun, Aileana. Lass los. Gut so. Komm her, Liebling.”

Ein Zittern fuhr durch den Körper der jungen Frau und sie ließ sich in die ihr entgegengestreckten Arme fallen.

Moms Begleiter zog Daves Gestalt zur Seite und fühlte dessen Puls.

“Also, dieser Michael ist ein ehemaliger Schüler von dir?”, fragte Aileana zehn Minuten später, während sie auf die Holodarstellung ihrer eingelagerten, modischen Kleidungsstücke starrte.

“Ja, er ist vor fünf Jahren hierher gezogen”, bestätigte ihre Mutter, während sie den Inhalt des Nachttischs ohne viel Aufhebens in eine Transportbox ausleerte.

“Und er ist Privatdetektiv?”

“Tatsächlich bin ich das”, für Michael Carmichael war es ein Einfaches gewesen, den Schwebekoffer aus dem hohen Fach herauszuheben. Er schob ihn mit geschäftiger Eile kurzerhand direkt unter die Kleidungsausgabe, drückte dann den Holoknopf, um den kleinen Ausgabetisch einzufahren, “Ich habe eine kleine Agentur zwei Viertel weiter. Also, was wollen Sie mitnehmen? Wir sollten alles beeinander haben, bevor die Polizei auftaucht. Wir können es in meinen Gleiter laden, während Sie ihre Aussage machen und sich untersuchen lassen.”

“Ich will mich nicht untersuchen lassen”, Aileana streckte die Hand aus, zog sie dann wieder zurück, unschlüssig darüber, was sie einpacken sollte.

“Wenn Sie einfach abhauen, sieht das nicht sehr gut aus”, gab Carmichael zu bedenken, “Sie müssen Ihre Seite des Ganzen darstellen. Eine Untersuchung untermauert Ihre Aussage. Macht es auch einfacher bei der Scheidung.”

Aileana blinzelte verwirrt. Ach ja, sie war mit dem Mistkerl verheiratet … Scheiße.

“Wie aufwendig ist so eine Scheidung?”

Nicht, dass ihre Mom da was zu sagen könnte …

Wieder antwortete Carmichael, der gerade dabei war, Aileanas altmodische Rahmen mit den Urkunden und Zeugnissen abzuhängen, um sie im Koffer zu deponieren, “Sie waren erst zwei Jahre verheiratet, und mit dem, was grade vorgefallen ist, und da keine Kinder im Spiel sind, sollte das recht unkompliziert über die Bühne gehen. Die Klärung der Schlägerei wird wohl längere Zeit in Anspruch nehmen.”

“Heißt das, ich kann den Planeten nicht verlassen oder sowas?”

Mom schaute hoffnungsvoll auf, “Möchtest Du zurück nach Hause kommen? Wir können heute Abend ein Shuttle nehmen, wenn die Behörden es erlauben.”

“Nein”, Aileana schüttelte den Kopf. Dann schob sie die abgebildeten Klamotten beiseite, weiter und weiter, bis sie bei den alten, bequemen Sachen ankam, welche sie vor dieser Beziehung bevorzugt hatte, und drückte auf ‘Ausgeben’, “Ich will weg. Ganz weit weg. Vielleicht zum Mars oder so … ich muss mal was Neues sehen.”

Mit einem Rasseln segelten die Klamotten aus der Ausgabe direkt in den Koffer.

“Aber … Liebling …”, Mama schüttelte besorgt den Kopf, “Es ist Krieg!”

“Das ist kein Krieg, das ist eine Reihe unnötiger Scharmützel irgendwo bei Jupiter und Saturn!”, erwiderte Aileana, “So weit weg will ich jetzt auch nicht. Mars ist sicher!”

Die beiden anderen tauschten einen langen Blick aus, dann zuckte der Privatdetektiv mit den Schultern, als wolle er sagen: ‘Hey, sie ist Ihre Tochter, nicht meine!’

“Und außerdem bin ich erwachsen!”, Aileana deutete mit dem Zeigefinger auf ihre Mutter, “Und nur, dass das klar ist: Wenn Du Paps von dem Mist hier erzählst, dann sag ich ihm, dass du dich rein zufällig mit einem Privatdetektiv zum Tee getroffen hast, am selben Tag, als der Concierge plötzlich gewechselt hat und ich über das da gestolpert bin!”

Sie zeigt auf die Tür Richtung Wohnzimmer. Sicherlich hatte ihre Mom das hier nicht eingefädelt, auf keinen Fall … aber im Gegensatz zu Dave war sie absolut treu. Egal, was Aileana von ihrem Paps hielt, ihre Eltern hatten etwas besonderes … etwas, das sie selbst vielleicht niemals erleben würde.

Nein, Mom wollte eigentlich gestern abreisen und die Art, wie sie mit Dave gesprochen hatte … irgendwas war da abgegangen, da war Aileana sich jetzt sicher.

Carmichael war nicht durch Zufall hier.

War Aileana womöglich durch diese Aneinanderreihung schlechter Umstände selbstständig über das gestolpert, was ihre Mutter den Privatdetektiv angestellt hatte, herauszufinden?

Die Gesichter der beiden anderen gaben nichts preis, als die junge Frau jeden mit einem langen Blick durchbohrte. Trotz ihrer Unsicherheit legte sie selbstbewusst nach: “Ich bin nicht doof, Mom! Ich weiß, dass Du Dir nur Sorgen machst, aber das hier ist mein Schlamassel und es ist mein gutes Recht, ihn so weit hinter mir zu lassen, wie ich will!”

Amanda MacAllister trat mit einem tiefen Seufzer um das Bett herum und zog ihre älteste Tochter in eine liebevolle Umarmung. Nach einer Weile murmelte sie: “Ach, Liebling, ich weiß, Du willst das nicht hören, aber Du bist Deinem Paps so viel ähnlicher, als Du denkst.”

“Du hast Recht”, murmelte Aileana gegen die Wange ihrer Mutter, wobei sie Carmichaels Grinsen geflissentlich ignorierte, “Das will ich nicht hören. Aber ja, ich hab Dich auch lieb. Danke, Mama.”

~Das Ende~

GLEN\\ BIENEN

„Kommen Sie herein”, Glen schob den Personalplan beiseite, stapelte einige Folien, um Platz auf seinem Schreibtisch zu schaffen, und legte dann seine gefalteten Hände auf das Chaos, „Dr. Lustig, was kann ich für Sie tun?”

Der Zwerg kam mit einer Datenfolie in der Hand hereingeschlendert.

„Guten Morgen, Kapitän. Da wir auf Europa halten werden, hatte ich gehofft, noch ein paar Vorräte an Bord nehmen zu können”, da war ein Funkeln in den eisblauen Augen seines Chefingenieurs, als dieser ihm das Formular hinhielt.

Glen stand kurz auf, beugte sich vor und nahm es entgegen. Er überflog es. Oh, richtig … er hatte sich schon gefragt, wann das zur Sprache kommen würde. Bei Langzeitmissionen wie dieser gab es da immer jemanden …

Er grinste, „Sind Sie sicher, dass das alles ist, was Sie brauchen? Für eine Besatzung von fast 300 Mann scheint mir das ein recht kleiner Aufbau zu sein.”

„Wie sich herausstellt, befindet sich das meiste, was ich brauche, bereits im Lager. Ich könnte den Rest drucken, dafür habe ich auch alles. Aber da wir sowieso einen Zwischenstopp einlegen und Europa über einen florierenden Bergbau und Produktionsstätten verfügt, halte ich es für klug, die Kosten und Rohstoffe zu sparen”, Lustig grinste zurück, „Merkwürdig, dass wir diese Dinge überhaupt haben, nicht wahr? Sie sind für keine bestimmte Abteilung vorgesehen.”

„Aye …”, Glen bedeutete dem Mann, sich zu setzen, dann lehnte er sich zurück und strich sich über den Bart, „Und wo wollen Sie das aufstellen?”

„Ich habe mit Fr. Rivers gesprochen. Sie ist für die vertikale Landwirtschaft zuständig und daran interessiert, die Nebenprodukte zu verwerten”, Dr. Lustig gestikulierte in Richtung des Dings an der Wand, das wie ein Designerstück aussah. Es schwebte herab und entfaltete sich zu einem Schwebestuhl, der speziell für die Proportionen des Zwerges angefertigt schien. Lustig setzte sich darauf und der Stuhl stieg langsam höher, bis er den passenden Abstand zur Tischplatte zur Rechten des Kapitäns erreicht hatte, „Es hat sich herausgestellt, dass sie einen leeren Raum hat, der an den Landwirtschaftsbereich angrenzt und der so modifiziert werden kann, dass ein direkter Luftaustausch zwischen den beiden Einrichtungen möglich ist. Der Raum scheint für keinen Zweck reserviert zu sein, den wir feststellen konnten. Sie ist also gerne bereit, ihn mir zu überlassen.”

„Interessant”, Glen strich sich durch das grobe Barthaar und kratzte sich am Kinn.

„Nicht wahr?”, der Ingenieur stützte seinen linken Ellenbogen auf die Armlehne und betrachtete seinen Ringfinger, während er mit dem Daumennagel derselben Hand an ihm auf und ab fuhr.

„Sie haben also viel freie Zeit zur Verfügung?”

„Zu viel, Kapitän”, Unmut wanderte über das Gesicht des anderen Mannes. Glen konnte spüren, wie schwache Wellen von missbilligender Ungeduld über ihn hinweg glitten, „Sie wissen ja, was man über untätige Hände sagt.”

„In der Tat”, erwiderte Glen und runzelte die Stirn. Er legte die Folie ab und tippte darauf, „das könnte eine gute Ablenkung sein. Ich muss allerdings darauf bestehen, dass Sie jede Charge von Dr. Fox überprüfen lassen, bevor Sie etwas davon herausgeben.”

Der Zwerg lächelte, „Natürlich, das ist nur vernünftig.”

„Außerdem ist das nicht offiziell genehmigt; lassen Sie mich da raus”, Glen spürte, wie seine Lippen zuckten.

Ihnen beiden war klar, dass dies so oder so passieren würde. Glen schätzte es allerdings, wenn ein erfahrener Experte die Sache sauber erledigte. Die leicht verschwörerische Art und Weise, in der Lustig mit dem Kopf nickte, signalisierte ihm, dass der Zwerg es wiederum schätzte, einen Kapitän zu haben, der erfahren und verständnisvoll genug war, dass man einfach zu ihm kommen und dies alles mit ihm regeln konnte.

„Also”, Glen studierte die Liste noch einmal, „Sie machen Bier und was noch? Können Sie auch Whiskey herstellen?”

„Ich habe mehr Erfahrung mit Schnaps und Wodka”, Lustig grinste jetzt offen, „Ich habe schon mal Whiskey gemacht, aber man hat selten die Zeit, die Scotch-Alternativen lange genug reifen zu lassen, um einen guten Geschmack zu bekommen, und mit den künstlichen Aromen ist es einfach nicht … Sie wissen schon.”

Glen nickte.

„Und Bourbon … nun ja”, Lustig machte sich in Glens Augen noch beliebter, als sein Gesicht für eine Sekunde verzog, „Nun, es ist Bourbon.”

„Ich glaube, wir haben ein paar Trupps, die sowas mögen könnten …”, Glen verzog ebenfalls das Gesicht.

„Ich werde sehen, was ich tun kann”, Lustigs Tonfall versprach nichts, „Aber vielleicht kann ich auch etwas Met herstellen. Fr. Rivers hat mir erzählt, dass die vertikale Landwirtschaft von echten Bienen bestäubt wird, und sie wäre wohl bereit, einen Teil des Honigs gegen ein gutes dunkles Ale zu tauschen.”

Bienen? Sie hatten echte Bienen an Bord?

Glen verbarg seine Überraschung über diesen kleinen Fakt hinter einem noch breiteren Lächeln.

„Nun, dann können Sie mir auch etwas davon beiseite legen, Doktor”, er tippte auf die Liste, „ich besorge Ihnen Ihre Vorräte, halten Sie mir nur meine Leute bei Laune und machen Sie sie nicht zu betrunken zum Arbeiten.”

„Von dem Met oder dem Ale?”, Lustigs Augenbrauen betonten die Frage.

„Sowohl als auch. Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen? Ich muss jemandem ein paar relevante Fragen stellen.”

„Sicher. Vielen Dank, Kapitän”, Dr. Lustig nickte und ging.

Glen wartete noch eine Sekunde, bevor er seinen Kommunikator aktivierte, „Fr. Baileywick, kommen Sie bitte in mein Büro. Jetzt gleich.”

Es dauerte keine zwei Minuten, bis sie an der Tür klingelte. Er stand auf, nahm Lustigs Datenfolie und stürmte aus seinem Büro. Sie sprang mit einem kleinen Anflug von Überraschung auf ihrem Gesicht zur Seite. Glen liebte es. Diese Momente machten seinen Tag perfekt …

„Kommen Sie, Fr. Baileywick, wir gehen ein Stück”, er drückte ihr die Folie in die Hand und machte sich dann auf den Weg zum Aufzug, „Ich möchte übrigens, dass diese Vorräte auf Europa erworben werden.”

„Jawohl, Kapitän,” die Frau warf einen Blick auf die Liste und übertrug sie dann mit einer Handbewegung in ihre AR.

Mit ihren langen Beinen machte sie die Differenz leicht wieder wett. Sie war groß für eine Frau, aber irgendwie immer noch zu zierlich. Als sie am Aufzug vorbeikamen, öffnete sie das Fach daneben, das für die Reinigung und Wiederverwendung leerer Folien vorgesehen war, und warf den Datenträger hinein, bevor sie ihm nacheilte.

„Wie ich höre, haben wir echte Bienen an Bord?”, er öffnete die verborgene Tür mit den Notleitern dahinter.

„Ja, Sir. Sie sind absolut ungefährlich. Wir haben spezielle Belüftungsfilter installiert, die—”

„Ich bin mir sicher, dass sie ungefährlich sind, Fr. Baileywick. Aber warum sind da Bienen?”, er begann hinabzuklettern. Baileywick ließ ihm etwas Vorsprung, bevor sie ihm folgte.

„Bienen sind der effizienteste Weg der Bestäubung, Sir. Außerdem produzieren sie Honig, der ein natürliches—”

„Ich komme von der Erde, einem Planeten, der eine Atmosphäre hat”, warf er ein, „Ich weiß, was Honig ist. Was ich nicht verstehe, ist, dass es all diese besonderen Dinge an Bord gibt und ich nur aus zweiter Hand davon erfahre.”

Er blieb auf dem Zwischenboden stehen und beobachtete ihre Reaktion, als sie neben ihm herunterkletterte, „Also, Dr. Lustig hat mir gerade von den Bienen erzählt. Warum haben Sie mir nicht von den Bienen erzählt?”

Er sah das kleine, süffisante Grinsen auf ihrem Gesicht aufblitzen, bevor sie es verbergen konnte, „Warum sollte sich der Hauptingenieur für die Bienen interessieren, frage ich mich?”

„Ich schätze, es ist ein Hobby”, knurrte Glen und öffnete die Tür zur nächsten Ebene, „Ich habe nachgedacht: Ich beschäftige mich zu sehr mit dem Papierkram, den Sie den ganzen Tag auf meinem Schreibtisch stapeln. Also mache ich heute eine Pause und Sie”, er stupste ihr mit dem Zeigefinger in den Solarplexus, „werden mich herumführen und mir all die besonderen kleinen Dinge hier zeigen.”

Sie öffnete ihren Mund.

Er schüttelte den Kopf, „Zeigen Sie mir nur, was Sie dürfen, Mädel. Aber zeigen Sie mir etwas, um Himmels willen!”

Baileywick betrachtete ihn für einen langen Moment und lehnte sich auf ihre Fersen zurück. Er ließ ihr das Schweigen.

Schließlich nickte sie, „Gut. Lassen Sie mich dann ausreden?”

Er verbeugte sich leicht und gab ihr ein Zeichen, voranzugehen, „Aber sicher, Fr. Baileywick. Führen Sie mich rum und zeigen Sie mir was.”

Und das tat sie dann auch.

THALLAMON\\ ZUSÄTZLICHE PROBLEME

Primäres velorianisches Botschafterraumschiff, im Orbit um die Erde

„Die Lightbearer ist startbereit, Botschafter“, Ruffa verbeugte sich leicht. „Alle Rohstoffe und Arbeitskräfte, welche für die Umrüstung zum Umschlagzentrum benötigt werden, sind geladen. Sie ist vollständig ausgerüstet, um mindestens eine halbe Umrundung ohne neue Vorräte zu bewältigen.“

Thallamon nickte. Der Gouverneur des menschlichen Raums, durch die Gnade Seiner Majestät, des velorianischen Obersten Führers Vosteral III., und hier nur als oberster velorianischer Botschafter bekannt, stand in seinem Arbeitszimmer und inspizierte eine holografische Anzeige, welche den Aufbau und die Positionierung ihrer Verteidigungsanlagen am Raumtor zeigte.

„Sehr gut“, befand er. „Sie haben die Vorbereitungen in guter Zeit bewältigt. Schicken Sie sie los.“

„Botschafter, bei allem Respekt“, sein Adjutant hielt den Blick auf den Holzschreibtisch gerichtet und zwang seine Ohrenfalten in eine unterwürfige Haltung, „darf ich vorschlagen, dass ich diese Mission leiten sollte? Auf diese Weise können Sie sicher sein, dass sie optimal durchgeführt wird, und sollte ich scheitern, würde mir die Schuld diesmal zu Recht zufallen.“

Nur das leichte Zittern der untersten Falte verriet die extreme Anstrengung, mit der Ruffa in diesem Moment seinen Stolz im Zaum hielt. Für einen Krieger seines Ranges und seiner Abstammung war es äußerst beschämend, sich derart demütig zu zeigen. Er hatte natürlich Recht. Kein anderer militärischer Befehlshaber in Thallamons Gefolge war für diese Aufgabe besser geeignet. Aber dem einzigen anderen Velorianer, der in der Lage und willens war, die Position des Gouverneurs anzufechten, das Kommando über das zweitmächtigste Schiff in diesem System zu übertragen und ihn der direkten Aufsicht zu entziehen, könnte zu einem Fiasko ausarten, das ihr Volk alles kostete. Mit fast einem ganzen Sonnensystem zwischen den beiden Anführern wäre Ruffa gleichzeitig eine weniger belastende Gefahr und vielmehr ein unberechenbarer Faktor.

Bevor Thallamon sich entscheiden konnte, hallte ein hartes Klopfen durch den Raum.

„Wer ist da?“, fragte er beinahe empört und gleichzeitig dankbar für die Verzögerung.

Ruffa richtete sich rasch auf und wandte sich der Quelle des Lärms zu, wahrscheinlich damit sein Vorgesetzter sein Gesicht nicht sehen konnte.

„Botschafter“, ertönte Gerros Stimme aus den Lautsprechern, „ich störe Sie ungern, aber ich habe in den Gemächern Ihres Sprösslings etwas gefunden, das Sie sehen sollten.“

Thallamon unterdrückte einen Seufzer, als er einen Blick auf die Kameraübertragung vor seiner Tür warf. Nun, das war … erzürnend. Dies in Ruffas Gegenwart zu thematisieren, könnte ihn schwach erscheinen lassen. Andererseits würde der Andere, selbst wenn Thallamon Gerro und dessen Fund wegschickte, sicherlich über genügend Einfluss verfügen, um leicht in Erfahrung zu bringen, was sich zugetragen hatte. Eine gnadenlose Machtdemonstration gegenüber Thallamons eigenem widerspenstigen Fleisch und Blut könnte Ruffa zweimal darüber nachdenken lassen, aus der Ferne Pläne zur Usurpation seines Vorgesetzten zu schmieden und gleichzeitig das besagte Fleisch und Blut in die Schranken weisen.

„Bringt es herein“, sagte der Anführer, während er jede Schwäche unterdrückte und seine Ohren in eine resolute Haltung presste.

Gerro hielt den zappelnden Menschen am Hals fest, während zwei der Klone einen zutiefst beschämten Evron hereinführten. Als der Anführer von Thallamons Leibwache den fast zierlichen Menschen vor den Schreibtisch zu Boden warf, zuckte Evron zusammen, als würde er den Schmerz persönlich spüren.

„Wir haben es in seinem Bett gefunden“, berichtete Gerro mit einer tiefen Verbeugung, sichtlich unglücklich darüber, solch eine widerwärtige Nachricht überbringen zu müssen. „Es scheint, als sei es im letzten Botschafterraumschiff versteckt an Bord geschmuggelt worden.“

„Nicht versteckt!“, kläffte die verabscheuungswürdige Kreatur wie einer ihrer winzigen Hunde. „Ich habe meinen Vater hierher begleitet! Den Botschafter von Luna 4! Ihr könnt mich nicht anrühren, ohne einen schweren Zwischenfall zu provozieren!“

„Glaubst du das wirklich, Mensch?“ Selbst im Sitzen überragte Thallamon den verzierten Tisch mühelos.

„Jake, bitte“, zischte Evron, „halt den Mund!“

Als der Hund aufspringen wollte, drückte Gerro ihm einen Fuß in den Nacken.

Evron fiel auf die Knie. „Vater, bitte! Tu ihm nichts! Ich flehe dich an!“

Das schürte Thallamons Wut nur noch mehr. Er gab den beiden Wachen ein Zeichen, und sie rissen seinen Sprössling zurück auf die Beine.

„Meine Gene betteln nicht!“, knurrte er und kniff die Augen zusammen. „Sie kauern nicht und verkehren nicht zum Vergnügen mit schmutzigen menschlichen Männern.“

Der Mensch wand sich schwach gegen den Druck. Sein Gesicht hatte eine höchst unattraktive rote Farbe angenommen, während seine Bewegungen auf dem Boden den Velorianer an einen auf das Land gespülten Fisch erinnerten. Ruffas Haltung zeigte eine Mischung aus Unbehagen, bei einem so privaten Gespräch anwesend zu sein, und Interesse an dessen Verlauf.

„Du hast eine Pflicht zu erfüllen, Evron!“, tadelte Thallamon sein Kind, dessen Augen in betäubter Panik auf seinem Liebhaber ruhten. „Deine Gene sind exquisit, von seltener Reinheit und Stärke. Du bist sehr fruchtbar. Dies an einen Mann zu verschwenden, kommt einem Verrat gleich!“

„Aber … aber ich mag Jake“, schluchzte sein Kind, während es mit kleinen ruckartigen Bewegungen den Kragen seiner Robe knetete. „Er ist freundlich und abenteuerlustig und …“

Thallamon weitete kaum merklich die Augen.

„… völlig falsch für mich!“, rief Evron. „Ich sehe meine Torheit, Vater. Ich werde mich bessern, das schwöre ich!“

„Gut“, der Botschafter gestikulierte. „Hilf ihm auf, Gerro.“

Sein Wächter ersetzte den Stiefel an der Kehle des Menschen durch seine Hand, wobei seine Haltung deutlich die Absicht erkennen ließ, ihm wehzutun.

„Vorsichtig, Gerro“, mahnte der Gouverneur. Sein Leibwächter verzog etwas angewidert das Gesicht. Dann packte er stattdessen den Verursacher des ganzen Aufruhrs unter beiden Achseln und hob ihn mit der Zurückhaltung und Vorsicht, die man bei einem Kleinkind walten lassen würde, auf seine nackten Füße.

„Jake, richtig?“, fragte Thallamon in einem freundlichen Tonfall. „Das ist dein Name?“

„Ähm, ja.“

Die Augen des Menschen huschten zu Evron, dann zu den Wachen und schließlich zu Ruffa, bevor sie endlich der Person begegneten, die ihn angesprochen hatte. Zögerliche kleine Bewegungen durchliefen seinen Körper, während er seinen dünnen Satinmantel zurechtzupfte und den losen Gürtel neu band. Der Botschafter brauchte keine besondere Ausbildung im Umgang mit diesen Wilden, um die wachsende Unsicherheit in der Haltung und im Verhalten des Mannes zu erkennen. Das war eindeutig nicht das, was er erwartet hatte. Nun, wenn er geglaubt hatte, sein Geliebter würde mehr Rückgrat zeigen, um ihn zu verteidigen, dann hatte er offensichtlich eine sehr schlechte Einschätzung von Evrons Charakter. Aus irgendeinem Grund empfand Thallamon diese Erkenntnis als kleinen Lichtblick und fand sie sogar amüsant.

„Wie lange?“ Er legte beide Hände auf den Schreibtisch und verschränkte die Finger in der menschlichen Art. „Wie lange verschwendest du schon die Zeit und das Erbgut meines Nachkommens?“

„Wir sind seit sechs Monaten und zwölf Tagen zusammen“, sagte der Mensch und errötete erneut. Diesmal vor Empörung. „Und ich verschwende nicht seine Zeit! Ich liebe ihn!“

„Jake, nicht!“ Evrons wieder aufflammende Panik wurde durch ein leises Flattern seiner Ohren unterbrochen.

Unglaublich! Wie konnte er Gefühle für diesen … Außerirdischen haben? Nun, es könnte sich als das Mittel erweisen, das Thallamon brauchte, um ihn endlich zur Erfüllung seiner Pflicht zu bewegen. Es könnte dem Gouverneur auch eine Möglichkeit bieten, Ruffa ausreichend zu beschäftigen, damit dieser keine Pläne gegen ihn schmieden konnte, und dem Raumtor obendrein zusätzlichen magischen Schutz bieten.

„Gerro, bring Jake in eines der Spezialquartiere. Versorge ihn mit ausreichend Essen und Wasser, bis ich etwas anderes anweise.“

Eine Welle tiefen Schocks durchfuhr Evron und er tänzelte tatsächlich einen schnellen Schritt vorwärts, während er rief: „Vater, nein! Ich werde alles tun!“

Daraufhin schien in dem Menschen ein Funken Verstand zu erwachen. Er straffte die Schultern, ballte die Fäuste und verkündete hochmütig: „Ihr könnt mich nicht einsperren! Meine Eltern werden—“

„Ah, ja, deine Eltern. Gerro, erkläre Jakes Abwesenheit mit einem tödlichen Unfall und entschädige seine Eltern für ihren Verlust.“

„Das werden sie euch niemals abkaufen!“, der Mensch zuckte mit der klaren Absicht, über den Schreibtisch zu springen. Eine Bewegung von Ruffas Handgelenk stoppte ihn. Bevor die verabscheuungswürdige Kreatur mehr als einen Schritt machen konnte, schloss sich ein magischer Griff um sie. Unfähig, irgendetwas zu tun, weiteten sich ihre Augen in panischer Erkenntnis, wie weit sie sich von der Sicherheit ihrer Herde entfernt hatte. Die Erkenntnis, dass dieser Fehltritt höchstwahrscheinlich den Tod bedeuten würde, schien endlich in sein Bewusstsein zu dringen.

„Nein …“, wimmerte Evron leise.

„Nun, sollten sie sich als zu hartnäckig erweisen, um sich leicht überzeugen zu lassen, müssen wir ihnen eben eine Leiche zur Begutachtung zur Verfügung stellen“, Thallamon nickte Gerro zu. „Du hast meine Erlaubnis, die Klonanlagen für diesen Zweck zu nutzen.“

„Wie Sie wünschen, Botschafter“, Gerro verbeugte sich und nahm Ruffa den Gefangenen ab.

Die Ohren seines Nachkommens zuckten unkontrolliert, als er wegschaute. Auf Thallamons Zeichen hin verließ Gerro mit dem Menschen den Raum, und die Klone schoben seinen Nachkommen näher heran. Während er beiseite trat, blieben Ruffas Augen hell und voller intriganter Neugier.

„Evron, ich bin nicht länger bereit, die Schande zu akzeptieren, welche dein Verhalten über unser Blut und unsere Position bringt“, sagte der Gouverneur und spreizte seine Ohren fast um ein Viertel auf, um seine Unzufriedenheit und seinen höheren Status deutlich zu machen. 

„Du hattest eine Aufgabe in diesem System: unsere Gene so weit wie möglich zu verbreiten. Und ja, ich weiß, wie widerwärtig das ist. Ich übe diese Pflicht auch nicht gern aus. Aber es ist und bleibt unsere Pflicht. Wir sind die letzten Nachkommen eines alten, angesehenen Blutnetzes. Es ist unsere Aufgabe, dieses genetische Erbe zu schützen und es in der Neuen Lösung für die Große Not zu verbreiten. Als Teil dieses Schutzes habe ich dich vielleicht zu sehr behütet. Ich sehe jetzt, dass du mit anderen Aspekten unseres andauernden Kampfes ums Überleben vertraut gemacht werden musst.“

Die Augen seines Kindes weiteten sich erneut. Da er selten Interesse an den täglichen Aufgaben seines Erzeugers zeigte, war Evron wahrscheinlich nicht über die aktuelle Situation auf dem Laufenden. Was ihm jedoch zweifellos bewusst war, waren die Härten und Schmerzen, welche unerbittlich auf ihn zusteuerten.

„Ruffa, Sie haben das Kommando über die Lightbearer,“ Thallamon gestattete sich ein kleines Lächeln, „Sie werden meinen Sprössling und alle anderen magisch Begabten mitnehmen, welche wir entbehren können. Sie sollen sich darauf vorbereiten, alle magischen Mittel zu neutralisieren, mit denen die Menschen versuchen könnten, das Tor zu öffnen. Außerdem werden Sie für die Sicherheit und die Ausbildung meines Sprösslings sorgen.“

„Wie Sie wünschen, Botschafter“, sagte Ruffa und verbeugte sich, wobei er sichtlich darum kämpfte, seine Unzufriedenheit über die ihm auferlegte zusätzliche Last zu verbergen.

Unterdessen verloren Evrons Ohren jegliche Farbe.

Thallamon beugte sich vor, „Evron, wenn dir das Leben deines Haustieres lieb ist, schlage ich vor, dass du genau das tust, was dir aufgetragen wird, und jede Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erfüllst. Und nur für den Fall, dass du das nicht tust, werde ich unsere Genetiker beauftragen, dir etwas Kernmaterial zu entnehmen. Melde dich als Erstes in ihrem Büro und pack dann deine Sachen.“

„Was?“ Evron umarmte sich selbst. „Aber Vater –!“

Sein Erzeuger spreizte seine Ohren zur Hälfte auf. Evron drückte seine schnell so weit wie möglich zusammen. Er schluckte schwer und verbeugte sich,
„Natürlich, Vater.“

Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sich umdrehte und hinausging, um sich der schmerzhaftesten und schändlichsten Prozedur zu unterziehen, die ein Velorianer durchleben konnte. Thallamon hätte fast Mitleid mit ihm gehabt. Doch sein Pflichtbewusstsein ließ eine solche Schwäche nicht zu, also unterdrückte er sie.

Sogar Ruffa war leicht erblasst und hatte seine Falten eingezogen. Zweifellos hatte er die in diesem höchst privaten Austausch enthaltene, an ihn gerichtete Botschaft verstanden.

„Wegtreten“, befahl sein Vorgesetzter mit ausdruckslosem Gesicht und Ruffa eilte davon.

SERGEY\\ LIPPENLESEN

[Kurzer Hintergrund/Erinnerung: Sergey wurde gerade zum Colonel befördert. Yelena, Ghost und Mikhail sind seine Sergeants. Kesha ist Yelenas stellvertretende Squadleiterin, Echohawk Ghosts Stellvertreter. Sie sitzen zusammen in der Messe und essen zu Mittag.]


Ein paar Minuten später hustete Echohawk plötzlich und konnte die letzten Fischfasern kaum zwischen seinen zuckenden Lippen halten, während seine Augen auf einen Punkt außerhalb ihrer Gesellschaft gerichtet waren. Etwa zwei Sekunden später zuckten Ghosts Mundwinkel und er presste seine Lippen aufeinander.

„Was ist daran so lustig?“, die Falten auf Yelenas Gesicht wurden tiefer, als sie die Reaktion wahrscheinlich als Kommentar zu dem auffasste, was sie gerade gesagt hatte.

Aber Ghost sah sie nicht an, sondern deutete nur an, dass sie noch ein paar Minuten bräuchten, um ihre Aufgabe zu erledigen.

Sergey und Yelena tauschten einen Blick aus und senkten dann erneut die Köpfe über ihre Teller, während ihre Augen suchten, wo sich die Blicke der beiden Infiltratoren kreuzten. Wer war das Ziel der heutigen Lippenleseübung?

„Sie belauschen deinen Schwarm“, Kesha schien allein diese Tatsache unterhaltsam zu finden, während ein schelmisches Funkeln in ihren Augen aufflackerte, „Glaubst du, sie reden über dich?“

„Ich habe keinen Schwarm“, brummte Sergey, während er vorsichtig zu der Stelle hinüberschaute, wohin sie mit einer winzigen Kopfbewegung gedeutet hatte.

Und tatsächlich, während Ghost sich leicht gedreht hatte, um den besten Blickwinkel zu haben, um Felicitys Lippen zu lesen, waren die Augen seines Stellvertreters auf die ihrer Tischnachbarin Heidi Rivers gerichtet. Die beiden Frauen saßen allein in einer Ecke, zu weit weg, um dem Trubel in der voll besetzten Kantine zu lauschen. Während Rivers ihr Fischgericht scheinbar als Nebensache des Gesprächs behandelte und mehr den Mund als die Hand bewegte, welche ihre Gabel hielt, funkelte Felicity sie nur an, und stocherte demonstrativ auf ihren griechischen Salat ein.

Entgegen seiner Worte war Sergey doch neugierig und sein Gulasch schmeckte nicht mehr so gut, da er unbedingt einen Blick auf den Chat werfen wollte, in dem seine Infiltratoren das Gespräch zusammenfassten, von dem jeder eine Seite protokollierte. Er musste noch vier Minuten warten, bis sie beschlossen, dass der interessante Teil des Gesprächs vorbei war und sich bereit machten, mit der Sprache herauszurücken. Leere, das war doch nicht so wichtig!

„Sind wir sicher, dass die Wissenschaftlerin keine Spartanerin ist?“, fragte Echohawk noch einmal nach. „Ich meine, ich weiß, was in ihrer Akte steht, aber nach dem, was sie angedeutet hat, scheint sie einen kleinen Harem zu haben.“

„Ach, hör auf uns auf die Folter zu spannen“, Kesha beugte sich vor. „Spuck’s schon aus! Was war so lustig?“

„Na ja, willst du nur das oder auch den Kontext?“, er kratzte die Reste seiner zerdrückten Erbsen zusammen und leckte seinen Löffel betont langsam ab.

„Komm schon, Jake, niemand mag Klugscheißer!“ Yelena lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Wir können das neue Rufzeichen immer noch zurücknehmen, weißt du?“

Echohawk warf Ghost einen Blick zu, woraufhin dieser mit den Achseln zuckte, als wollte er sagen: „Ich habe dir doch gesagt, dass du dich nicht mit ihnen anlegen sollst.“

„Okay, okay“, er hielt beide Arme hoch, „also, die Wissenschaftlerin hat darüber gejammert, dass sie ihr Lieblingsboytoy verloren hat, und überlegt, ob der XO vielleicht Interesse hat, ihn zu ersetzen …“

Kesha pfiff.

„… Aber Dr. Fox sagte ihr, sie solle ihn da raushalten“, Ghost prüfte die Temperatur seines Tees mit einem vorsichtigen Schluck, „und meinte, sie sei nur interessiert, weil er die rechte Hand des Kapitäns sei, und das würde die Angelegenheit für alle Beteiligten furchtbar verkomplizieren.“

„Kernweltler“, murmelte Mikhail und schüttelte angewidert den Kopf.

Aus irgendeinem hirnrissigen Grund fühlte sich Sergey seltsam erleichtert bei dem Gedanken, dass er sich zumindest nicht mit diesem Mist herumschlagen musste …

„Da bekam Fr. Rivers diesen verschmitzten Gesichtsausdruck und wechselte scheinbar das Thema, indem sie sagte, dass sie angesichts unseres Ziels und der Tatsache, dass wir das System bald verlassen werden, so viel Lesestoff wie möglich mitnehmen sollten. Sie fragte Dr. Fox“, Echohawks Stimme wechselte zu einer überraschend guten Imitation der Stimme und des Ausdrucks der Frau, ‚‘Sag mal, denkst du, du hast genug von diesen medizinischen Fachzeitschriften und den heißen Liebesromanen? Vielleicht solltest du ‚Die Kanone des Colonels‘ mal probieren, ich habe gehört, das ist ein riiiesiger Bestseller.‘“

Jetzt war es an Kesha, ihr Dessert beinahe über den ganzen Tisch zu verteilen. Sergey umklammerte seine Tasse fester und hob sie an, um den plötzlichen Drang, zu husten, mit einem Schluck Tee zu unterdrücken.

„Du veräppelst uns!“, rief Yelena, „Das hat sie doch nicht wirklich gesagt!“

„Nein! Ich meine, ja! Das hat sie wirklich gesagt!“

Alle blickten Ghost an.

Er nickte bestätigend und warf Sergey einen Blick zu, bevor er fortfuhr: „Ich glaube, das hat sie getan, denn daraufhin antwortete Dr. Fox mit finsterer Miene: ‚Du weißt, dass ich keine Militärromanzen lese.‘

“Und Rivers erwiderte: „Ich denke, du solltest für dieses Buch eine Ausnahme machen“, mischte sich Echohawk wieder ein, „es könnte sich wirklich lohnen. Ich habe gehört, dass es großartige Kritiken gibt.“

Unterdrücktes Gelächter stieg am Tisch auf. Plötzlich spürte Sergey eine unerwartete Hitze in seinem Nacken aufsteigen und er trank seinen Becher leer.

„Nun, ich frage mich, wo sie die gefunden hat!?“ Yelena zwinkerte, und sogar Mikhail und Kesha grinsten breit.

„In ihrer Fantasie, würde ich meinen“, Sergey stellte seinen Becher mit etwas zu viel Kraft ab und griff nach der Teekanne.

„Bei ihrer Promiskuität hat sie vielleicht selbst versucht, einen Blick in das Buch zu werfen“, neckte Kesha und zog die Kanne weiter weg.

„Ich bin sicher, dass sie das nicht getan hat“, er umfasste den Griff der Kanne und funkelte sie mit zusammengekniffenen Augen an.

Sie ließ los und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen: „Vielleicht ist sie einfach noch nicht dazu gekommen, es selbst zu lesen.“

Mehr Kichern und Schnauben. Sogar Ghost verzog die Mundwinkel nach oben.

„Ich glaube, dieses Buch ist momentan ausverkauft“, er schob die Zuckerdose rüber, gerade als Sergey danach greifen wollte, „Es sind nur noch ein paar kostbare Exemplare übrig.“

Yelena nahm die Dose, sobald Sergey damit fertig war, „Was willst du damit sagen? Dass es sich bei der ‚Kanone des Colonels‘ um gebrauchte Literatur handelt?“

Kesha, die gerade erst wieder zu Atem gekommen war, brach in schallendes Gelächter aus. Die Leute an den Nachbartischen begannen, sie anzustarren. Felicity auch.

Mist.

„Vielleicht eher um Einhandliteratur, wenn man den Titel bedenkt“, konterte Echohawk kühn.

Mikhail und Kesha zuckten zusammen. Sergey funkelte den Infiltrator an. Ghost tippte seinem Vorgesetzten sanft mit zwei Fingern auf den Arm. Ah, er hatte recht … sich darüber aufzuregen, würde nur die Belustigung der anderen steigern. Es war sowieso alles kindischer Unsinn. Sie machten nur Witze über das, worüber am anderen Tisch gescherzt worden war.

Anstatt dem jüngeren Mann die Meinung zu geigen, löffelte Sergey also ruhig Zucker in seinen Tee und fragte: „Gibt es noch andere interessante Neuigkeiten, die du vielleicht teilen möchtest?“

„Nein, danach war das Gespräch so ziemlch beendet“, zumindest wusste Echohawk, wann es genug war.

„Obgleich Fr. Rivers versuchte, das Thema wieder aufzugreifen, als sie fragte, ob Dr. Fox wirklich auf die Gelegenheit verzichten würde, an der Regimentsgründungsparty teilzunehmen, nur weil du sie eingeladen hattest.“

Sergey wandte sich Ghost zu: „Und?“

„Tut mir leid“, sein Freund hielt ihm den Milchersatz hin, „sie sagte, sie hätte bereits andere Pläne.“

„Schade“, warf Kesha ein, „betrunken und entspannt hätte sie vielleicht doch Interesse daran gehabt, diese besondere Literatur aus erster Hand zu erleben.“

Als ein weiterer Anfall von Heiterkeit ihn von allen Seiten umspülte, schloss Sergey kurz die Augen und dachte beruhigende Gedanken, während der dunkle Duft von schwarzem Tee seine Nase kitzelte und dann bis in seinen Magen brannte. Es bestand wohl keine Chance, dass sie diese Sache jemals auf sich beruhen lassen würden, oder?

YELENA\\ ZWEITE GELEGENHEIT

„Was ist passiert?“, Yelena übersprang einen Schritt, um mit seinem unerwarteten Tempo Schritt zu halten, als ihr Freund und Kommandant um die Biegung des Korridors stürmte, den sie gerade von einer T-Kreuzung aus betreten hatte. Eine knappe Nachricht per Comms hatte sie aufgefordert, sich ihm anzuschließen. Doch statt einer Erklärung schüttelte Sergey nur den Kopf und winkte ihr zu folgen, während er weitereilte. Seine Paradeuniform war etwas zerknittert. Ein sehr schwacher Geruch von unbekanntem Alkohol wehte zu ihr herüber. Was auch immer beim Treffen mit dem Kapitän und der Senior Commander vorgefallen war, es hatte ihn aus der Fassung gebracht. So neben sich hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen.
Für ihr Platoon würde es nicht wie gewohnt weitergehen, so viel stand fest.
Was also dann? Wo sollten sie hin und warum? Was für Befehle könnte Mama Tasha gegeben haben, um ihn derart zu beunruhigen?
Sie eilten an einer mit Brandspuren übersäten Wand und einigen Überresten hastig errichteter Barrieren vorbei, welche nach dem Piratenangriff noch nicht entfernt worden waren, trafen jedoch keine Menschenseele. Da sie noch nicht lange auf dem Schiff verweilten und noch nie den Teil betreten hatten, welchen Sergey jetzt ansteuerte, dauerte es eine Weile, bis Yelena begriff, wohin sie unterwegs waren.
Die Turnhalle des Gateshot-Militärs.
Sergey folgte also höchstwahrscheinlich einer BCI-Markierung, um zu Sgt. Maj. Thompson zu gelangen, dem so genannten Anführer dessen, was sich auf diesem Kahn als Militär ausgab. Doch warum sollte er mit diesem Idiot sprechen wollen? Die beiden Männer waren sich fast an die Gurgel gegangen, weil Sergey das Magiermädchen und einen von Thompsons Spartanern inhaftiert hatte, nachdem diese seine direkten Befehle ignoriert und unter den Augen der Voidwalker ein Kriegsverbrechen begangen hatten. Ein Verbrechen, welches den Rest des Einsatzteams gefährdete und sie das velorianische Schiff kostete, das sie geentert und unter Kontrolle gebracht hatten. Thompson forderte Sergey sogar zu einem Duell heraus, zog sich dann aber zurück, wahrscheinlich nachdem der Admiral ihm den Befehl dazu gegeben hatte.
Scheiße!
Yelenas Augen weiteten sich, als sie den wahrscheinlichen Zweck dieses Ausflugs erkannte. Warum er sie mit einbezogen hatte. Und den einzig plausible Grund, warum es jetzt geschehen musste.
„Hat ja lang genug gedauert“, murmelte Sergey in Voidcant, “Du bist doch nicht etwa eingerostet?“
„Wie das? Du trägst mehr Metall in dir als ich,” scherzte sie zurück.
Er schnaubte.
„Außerdem misst du seiner Ehre zu viel Bedeutung bei. Er ist ein Spartaner“
Jeder Plutonier wusste, dass diese unprofessionellen, promiskuitiven Kernweltler ein besonderes Ärgernis darstellten, noch vor KIs und selbstdenkenden Robotern. Sie vögelten in ihren eigenen Einheiten herum, verschwendeten ihre Zeit mit endlosen, sinnlosen Fitnessübungen, anstatt ehrliche, sinnvolle Arbeit zu leisten… Pah!
„Er hat sich beim Piratenangriff gut geschlagen“, Sergeys Tonfall ließ keinen Raum für Widerspruch, als er den Haupteingang der Sporthalle passierte, „Und dies könnte unsere letzte Chance sein, das aus der Welt zu schaffen, bevor alles kompliziert wird.“
Als ob das nicht schon der Fall wäre …

„Wollen die mich verarschen?“ sprach Sergey Yelenas Gedanken aus, als sie vor einer mit Kletterseilen und -hilfsmitteln bestückten Wand anhielten. Ein Blick nach oben offenbarte, dass die grünen Pfeile in ihrer BCI-Navigation in die zweite Etage zeigten, wo sich ein Laufsteg um die Hälfte des großen Raumes herum erstreckte. Mehrere Plattformen zweigten davon ab und ragten über ihnen. Gute Positionen für einen Hinterhalt. Aus der Wand entsprangen acht Türen. Die von ihnen aus gesehen am weitesten links gelegene war ihr Ziel.
„Noch ein Hangar?“, Yelena schüttelte den Kopf, „Was für eine Platzverschwendung.“
Nicht, dass dieser Hangar als solcher genutzt wurde. Das Erdgeschoss war mit Fitnessgeräten vollgestopft. Mehrere Boxringe, ein Parcours, eine Tür mit der Aufschrift „Schießstand“. Die vierzehn Personen in Trainingskleidung, welche ihnen verstohlene Blicke zuwarfen, füllten den großen Raum nicht mal ansatzweise.
„Was für eine Energieverschwendung, seine Leute diesen Scheiß hochklettern zu lassen, nur um mit einem zu reden“, knurrte Sergey so laut, dass es jeder hören konnte, „und ich dachte, Thompson könnte kein größerer dupka sein!“
Scheiße, er war wirklich stinksauer… was zum Teufel war in diesem Büro passiert? Nun, wenn sie ihn richtig verstanden hatte und sie deshalb an Bord bleiben und mit den Kernweltlern zusammenarbeiten mussten, war es auf jeden Fall nichts Gutes …
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür, auf die sie zusteuerten, und ihr Ziel betrat den Laufsteg. Seinen großen, kantigen Kopf über einen Stapel Datenfolien gebeugt, schien Thompson in ein Gespräch mit einer anderen Spartanerin vertieft zu sein. Seine Stellvertreterin, die promiskuitive Schwarze, die er angeblich so unprofessionell war, zu daten. Sie bemerkte Sergey und Yelena zuerst und versetzte ihrem Vorgesetzten einen schnellen Stoß in die Rippen. Thompsons Blick folgte ihrer Geste und die beiden länglichen Partien dicker schwarzer Haare, die auf seiner Stirn wuchsen, verschmolzen zu einer einzigen Monobraue. Fast wäre er für einen Schritt ins Stocken geraten, doch dann verdoppelte er sein Tempo.
Sergey glättete seine Miene und verschränkte die Arme, während er darauf wartete, dass der andere Mann ganz bis zum Vorsprung kam und sich über das Geländer daneben lehnte.
„Lt. Federov“, Thompson warf einen kurzen Blick auf die nicht ganz so unauffälligen Zuschauer, “kann ich Ihnen helfen?“
„Da. Wir müssen reden“, ein verschmitztes Glitzern ersetzte die Verärgerung im guten Auge ihres Freundes, als er sich demonstrativ umschaute, “Warum bleiben Sie nicht einfach dort stehen? Wir kommen hoch.“
Der große Kernweltler schien etwas verblüfft, als er auf die Seile zeigte: „Wir … ähm …“
„Niete, ist schon gut“, Sergey lächelte breit, wie damals auf Space-Nav 358, kurz bevor er diesem rotzfrechen Vorarbeiter die Fresse einschlug, „Wir sind schließlich gekommen, um mit Ihnen zu reden. Und Sie wollen das vielleicht nicht in der Öffentlichkeit besprechen. Wir werden den Weg nach oben finden, daniete?“
Dieser letzte Satz war an sie gerichtet, also nickte Yelena. Sie wusste, dass sie ihm in dieser Stimmung nicht widersprechen sollte. Was auch immer er vorhatte, es würde bestimmt lustig werden. Also passte sie sich seinem Lächeln und seinem quälend langsamen Schritttempo an, als er sich umdrehte und auf eine Tür in der Seitenwand zusteuerte, welche sich auf halbem Weg zurück in der Richtung befand, aus der sie gekommen waren.
In schwatzhaftem Tonfall murmelte sie in ihrer Muttersprache: „Eine Rationsmünze, wenn du ihn dazu bringst, eine Vene platzen zu lassen.”
Sergey lachte, als hätte sie einen großartigen Scherz gemacht. Seine künstliche Hand deutete an, dass er die Herausforderung annahm.
Während sie sich im Schneckentempo fortbewegten, plauderten sie munter drauflos. Das meiste war Unsinn. Die zufälligen, nichtssagenden Wörter und Phrasen in Voidcant waren ein tief verwurzeltes Hin und Her, das vor langer Zeit entwickelt wurde, um sich besser in eine Menschenmenge einzufügen und Außenstehende zu beruhigen … oder in diesem Fall zu verunsichern. Es war auch gut, um echte Gespräche, die in ihren Köpfen und mit ihren Händen stattfanden, zu verschleiern. Etwas fiel ihrem Vorgesetzten auf und er blieb stehen. Eine gute halbe Minute lang verfolgte er die Bewegungen der vier Leute, welche sich in Paaren zum Nahkampftraining zusammengefunden hatten, bevor er sie auf diese verdeckte Art fragte: „Sag Yelena, siehst Du das Problem?“
Auch sie ließ sich Zeit, denn es war eine subtile Sache, auf die er anspielte, und sie war sich anfangs nicht ganz sicher.
„Mir scheint, entweder haben sie alle einen genetischen Defekt oder zumindest einer ihrer Trainer hat eine Bewegungseinschränkung in der rechten Schulter, welche sie unbewusst nachahmen.“
Zufrieden mit ihrer Beobachtung, nickte er. Sie gingen weiter, dann machten sie eine Show daraus, den jeweils anderen zuerst durch die Tür zu winken. Sergeys Worte versickerten, kaum dass sie die schmale Treppe dahinter betraten. Nervosität übernahm seine Bewegungen und er erklomm die erste Treppe mit seiner gewohnt effizienten Geschwindigkeit, bevor er sich zwang, auf dem Treppenabsatz innezuhalten und ein paar Herzschläge abzuwarten. Seine künstliche Rechte schloss sich kurz zu einer Faust, dann entspannte sie sich wieder.
„Vielleicht hätte ich den Botschafter abweisen sollen, als er bat, uns zu begleiten“, sinnierte er.
„Es bringt Unglück, einen Voidpriester abzulehnen“, Yelena blieb neben ihm stehen und überzeugte sich davon, dass es für die Spartaner keine sichtbaren Möglichkeiten gab, sie zu beobachten – weder für die, zu denen sie unterwegs waren, noch für die im Erdgeschoss.
Eine beiläufige Weisheit, die ihr ein anderer Priester einmal mitgegeben hatte. Obwohl der Gedanke … Nein, sicherlich hatte nicht einmal Sergey den Mumm, Mama Tashas Erstgeborenem eine Abfuhr zu erteilen und dafür ihren Zorn zu riskieren. Wären die jüngsten Ereignisse anders verlaufen, hätte sie das höchstwahrscheinlich um die Chance gebracht, das, was die Senior Commander ihrem Vollstrecker aufgetragen hatte, zurückzubekommen, überhaupt zu erreichen. … Das hätte übel ausgehen können. Diese Art von Versagen konnte dazu führen, dass man in einen sehr ungemütlichen Winkel des Weltraums abkommandiert … oder, na ja, durch ein außerirdisches Raumtor in einen feindlichen Teil der Galaxie verschifft wurde. Ein Schicksal, das angesichts des seltsamen Verhaltens ihres Freundes plötzlich sehr wahrscheinlich erschien …
Hatten sie also doch schlechte Arbeit geleistet? War das Ding, das sie sicherstellen sollten, nicht in diesem von der Leere verlassenen Container gewesen? Oder wurden sie dafür bestraft, dass sie die [it]Gateshot[] und ihre Glücksritter-Crew angeschleppt hatten? Eine Crew, zu der möglicherweise sogar ein außerirdischer Roboter und der sagenumwobene Rasputin gehörten?
Sergey warf ihr diesen Blick zu, als könnte er manchmal direkt durch sie hindurchsehen, direkt in ihre Gedanken. Er erkannte zweifelsohne, wie sie in Blödsinnterritorium abdriftete, also hielt sie ihre Gedanken davon ab, weiter abzuschweifen. Er würde die Details zu gegebener Zeit mit ihr teilen. Wenn es ihm erlaubt war und er es für angemessen hielt.
Als Antwort auf sein leichtes Grinsen zuckte Yelena mit den Achseln: „Fein, ich verstehe, was Du meinst. Bringen wir es hinter uns, damit wir was trinken gehen können?“
“Jupp.”
Sie setzten ihren Weg in einem nicht mehr ganz so gemächlichen Tempo wie zuvor fort.
Hinter der Schwelle der oberen Tür lungerten die beiden Kernweltler herum. Sie wendeten sich gerade voneinander und möglicherweise einer hitzigen Diskussion ab. Ihrem unzufriedenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte die Hure wohl verloren.
Thompson richtete sich zu seiner vollen Größe auf und rupfte mit sichtlicher Mühe seine Monobraue zurück in zwei Teile, „Lt. Federov, ich wollte gerade die Leute besuchen, die Ihre Mission auf die Intensivstation gebracht hat. Also was auch immer Sie wollen, machen Sie es kurz!“
„Tatsächlich bin ich hier, um Ihnen einen Gefallen zu tun“, eisige Ruhe ließ Sergeys Stimme leise klingen.
Thompsons Schultern zogen sich weiter zurück, das einzige Anzeichen für seine plötzliche Überraschung.
Sergey machte eine vage Geste, „Da unsere ursprüngliche Mission abgeschlossen ist und die Aufräumarbeiten gut vorankommen, nehme ich an, dass der Druck, der Sie davon abgehalten hat, unsere Meinungsverschiedenheit zu einem ehrenhaften Ende zu führen, nachgelassen hat.“
Der Spartaner leckte sich über die Lippen, sein Blick wanderte zu dem Doppelstern, welcher auf der Paradeuniform seines Gegenübers prangte, bevor er kurz zu den Männern und Frauen blickte, die von unten heraufschauten, „Und wenn das so wäre?“
„In diesem Fall bin ich bereit, Ihnen eine weitere Chance anzubieten, dort weiterzumachen, wo wir so unsanft unterbrochen wurden. Zweite Chancen sind schließlich selten und das Bedauern über das Versäumte hält oft lange an. Sollten Sie daran interessiert sein, würde ich so tun, als hätten Sie Ihre Herausforderung nie zurückgezogen und wir könnten von dort fortfahren.“
Während die Augen der Hure beinahe hektisch von Sergey zu Thompson und wieder zurück wanderten, blieb die riesige Gestalt des Mannes an ihrer Seite fast eine Minute lang regungslos. Das einzige, was sich bewegte, waren seine haselnussbraunen Augen, welche den Plutonier vor ihm zu durchbohren suchten. Leises Grunzen und das Geräusch schwerer Dinge, welche auf gleichmäßigen, geordneten Bahnen angehoben und wieder abgesetzt wurden, übertönten beinahe das leichte Rascheln von vier mit erzwungener Gelassenheit atmenden Menschen. Schließlich schüttelte Thompson den Kopf.
„Ich danke Ihnen für das Angebot, Lieutenant. Es ist sehr … rücksichtsvoll von Ihnen, mir diese Chance zu eröffnen. Allerdings trage ich eine Menge Verantwortung, welche es mir nicht erlaubt, das Risiko einzugehen. Das gilt zweifellos auch für Sie. Wie auch immer es ausginge, es könnte sich als zu nachteilig für unsere Leute erweisen, um die Befriedigung eines kurzlebigen, persönlichen Grolls aufzuwiegen. Dennoch“, der Spartaner streckte eine übergroße Pfote aus, „weiß ich Ihre Überlegung zu schätzen. Es scheint, dass Sie mir mehr Achtung entgegenbringen, als ich vielleicht vermutet habe.“
Schade …
Falls Sergey enttäuscht war, überspielte er es gekonnt. Mit einer resoluten Geste schloss er seine augmentierten Finger um das angebotene Gliedmaß und schüttelte es, „Das mag für uns beide gelten.“
Es folgte kein kleinliches Kräftemessen, keine schlecht versteckten Anzeichen von nonverbaler Uneinigkeit oder spitze Blicke. Was war hier los? Die beiden Männer trennten sich mit einem kurzen, respektvollen Nicken, dann zog Sergey Yelena sanft zur Seite, damit die Spartaner passieren konnten.
Ihre Kameraden würden das niemals glauben!
„Was ist gerade passiert?“, flüsterte Yelena, bevor sich die Tür vollständig hinter ihren Gesprächspartnern schließen konnte.
Sergey zuckte mit den Schultern, als kümmerte es ihn nicht. In Standard und laut genug, dass auch die anderen beiden es hören konnten, verkündete er: „Maj. Thompson scheint tatsächlich lernfähig zu sein. Vielleicht können wir in Zukunft wirklich zusammenarbeiten.“
Alle erstarrten. Thompsons Fingerknöchel auf dem Türknauf schienen sich ein oder zwei Nuancen zu erhellen, als sein massiger Kopf zurückschwang, um sie anzustarren. Unten verstummten die Geräusche.
Yelena erkannte ihr Stichwort und fragte, ebenfalls im Standard, „Also bleiben wir?“
„In der Tat“, ihr Vorgesetzter presste kurz die Lippen aufeinander, „Adm. MacAllister verlangte explizit nach uns.“
Die Monobraue auf Thompsons Stirn schnappte mit Wucht an ihren Platz zurück.
Scheiße, jetzt schuldete sie Sergey wirklich eine Münze.

SERGEY\\ EHRE UND SO

[Vorgeschmack auf Band 5] [Kapitel 1]

„Ihr eigenes Regiment auf einer Langzeitmission zu führen ist ein großer Karriereschritt, nicht wahr? Das wird doch sicherlich mit einer Beförderung einhergehen,“ sinnierte der Admiral.
„Ich bin bereits weiter aufgestiegen, als ich es je wollte!“, Sergey starrte auf das Spinnennetz aus winzigen Rissen, welche auf dem Trinkgefäß in seiner rechten Hand erschienen. Ein leises Knistern hallte im plötzlich geradezu klaustrophobischen Büro des Kapitäns wider, „Warum schiebt man mir ständig mehr Verantwortung in die Schuhe?“
Plutos gefrorene Eisbälle!

Den Voidwalker störte es nicht, Adm. MacAllisters hübsches kleines Trinkglas zu beschädigen. Und es ließ ihn auch völlig kalt, dass er sich vor ein paar Minuten in einer Schimpftirade über die Situation ausgelassen hatte. Tatsächlich hatte es ihm sogar ein kleines Maß an Befriedigung verschafft, zu sehen, wie diese kratzbürstige außerirdische Roboterfrau bei seiner Wortwahl errötete und der Botschafter sie zur Tür herausscheuchte. Nein, das war alles in Ordnung. Es war die einzig vernünftige Reaktion darauf, in diese irrsinnige Situation gestoßen zu werden. Was Sergey störte, war, dass er für einen Moment die Kontrolle über seine künstliche Hand verloren hatte. Ein Sekundenbruchteil genügte, um jemandem das Genick zu brechen. Das war nicht akzeptabel, selbst wenn er gerade erst abkommandiert worden war, um ein verdammtes Regiment in von der Leere verfluchten außerirdischen Raum zu führen, um auf einen Haufen idiotischer Kernweltler aufzupassen, damit sie keinen weiteren Blödsinn anstellten, der auf seine Heimat zurückfallen könnte!
Sehr langsam ließ er den Druck in seinen Fingern entweichen. Der Tumbler hielt. Kein Tropfen der bernsteinfarbenen Flüssigkeit tropfte aus seinem Inneren auf den blitzsauberen Konferenztisch.
MacAllister zeigte sich vom Verhalten seines Gegenübers unbeeindruckt. Oder vielleicht war ihm die wahre Tragweite des inneren Konflikts hinter dem Pokerface des anderen nicht bewusst. Stattdessen betrachtete der alte Mann den Inhalt seines eigenen Tumblers, bevor er davon trank, „Wahrscheinlich, weil man erkennt, dass Sie damit umgehen können.“
Klar …

Sergey presste die Lippen fest aufeinander. Nachdem er den Alkohol hinuntergekippt hatte, stellte er die Frage, die ihm unter den Nägeln brannte: „Warum? Warum ich?“
Sicherlich hatte der Admiral diese brillante Idee nicht zu Ende gedacht! Oder er war ein Narr, der nicht sehen konnte, was für ein tiefes Loch er gerade bereitwillig für sich und seine Crew gegraben hatte, indem er ausgerechnet nach Sergeys Aufsicht bei dieser Mission verlangte! Er schien ein kluger Kerl zu sein … für einen Kernweltler. Warum sollte er so etwas Dummes tun? Sah er nicht, was für ein Mann Sergey war? Hoffte er, einen einfachen Lieutenant auszunutzen, der ohne die nötige Erfahrung in den Rängen aufgestiegen war? Wenn er dachte, Sergey wäre ein Schwächling, dann hatte MacAllister sich gewaltig getäuscht!
Statt der Erklärung, auf die der Plutonier wartete, zog der Admiral eine Spielkarte aus seiner inneren Brusttasche und legte sie auf den Tisch. Es war ein Joker, eine Wildcard, mit dem Bild eines auf einer Sprungfeder montierten Teufelskopfes, welcher aus einer Geschenkbox sprang.
„Weil ich Sie in Aktion gesehen habe“, MacAllister musterte sein Gegenüber aufmerksam, „Ich habe also eine ganz gute Vorstellung davon, worauf ich mich einlasse.“
Der Leutnant nahm die Karte, um sie sich genauer anzusehen. Ein seltsames Gefühl unter seinen Fingerspitzen. Papier. Dickes, hochwertiges Papier. Echtes Papier, kein Kunststoffpapiergemisch oder rein synthetisches Material, wie die Sammelkartenspiele, mit denen seine Truppen jedes Jahr ausgestattet wurden. Er hatte dieses altmodische Material nur ein paar Mal gesehen und angefasst. Warum sollte man daraus etwas herstellen, das so oft benutzt wurde wie Spielkarten? Es würde innerhalb kürzester Zeit schmutzig und ausgefranst sein. MacAllister war ein alter Mann, aber nicht auf diese Art sentimental, soweit Sergey das beurteilen konnte. Er schien zudem praktisch veranlagt. Hatte ihm diese Karte jemand anderes gegeben?
Die diesem Artikel innewohnende Seltsamkeit war ein Hinweis. Paps hätte vielleicht gewusst, was davon zu halten war. Sergey nicht. Er machte sich eine mentale Notiz für später.
„Wenn Sie erwarten, dass ich Sie und Ihre Crew aufgrund meines Respekts für Ihre Person oder wegen der Erfahrung und der harten Zeiten, die wir bereits überwunden haben, schonen werde, dann irren Sie sich!“, das sollte besser direkt geklärt werden.
„Im Gegenteil“, der Admiral leerte sein Glas und schenkte dann beiden zum dritten Mal nach, „ich erwarte, dass Sie mir von hinten in den Kopf schießen, sollten Sie das für die einfachste Möglichkeit halten, mein Schiff zu übernehmen. Ich erwarte, dass Sie Plutos Willen und Normen unbeirrt durchsetzen. Doch ich halte Sie auch für ehrenhaft und intelligent, für jemanden, der sich andere Standpunkte zumindest anhört, mit dem man vernünftig diskutieren kann und der solch drastische Maßnahmen nur als letzten Ausweg ergreift. Sie kennen den Preis der Gewalt und Sie werden ihn zahlen, jedoch nicht unnötigerweise.“
Sergey juckte es in den Fingern, dem alten Mann das Gegenteil zu beweisen und diesen wissenden Blick gewaltsam in den hintersten Teil seines Schädels zu verschieben. Damit sollte seine neue Aufgabe beendet sein, bevor sie überhaupt begonnen hatte, oder? Scheiß auf die Ehre! Aber nein, das konnte er nicht tun. Egal, wie MacAllister oder sonst jemand es nannte: Ehre, Respekt vor der Uniform, Verantwortungsbewusstsein … der alte Knacker hatte mit seiner Einschätzung recht. Er hatte ihn erschreckend gut gelesen. Selbst wenn er von der Erde stammte, verdiente der Admiral Sergeys Respekt. Wahrscheinlich nicht für seinen Rang oder dafür, dass er Kapitän dieses winzigen Schiffes war. Vielleicht aufgrund seiner Intelligenz und seines Alters. Ganz sicher für seine Kühnheit.
Dafür, wie er mit Sergey, seinen Männern und der Situation umgegangen war. Es war schon eine beachtliche Leistung, ihren leitenden Provost, die gute alte Garin, dazu zu drängen, gegen ihre Befehle zu handeln, und die Hilfe der Spartaner im Kampf anzunehmen. Ausgerechnet Sergey zu bitten, die plutonische Seite zu übernehmen, obwohl er die Gefahr so klar erkannte? Nur um sicherzugehen, dass er sich keinen Vorschriftenreiter oder gefährlichen Dummkopf einhandeln würde?
Ja, so eine selbstmörderische Entschlossenheit musste man bewundern.
„Ich bin der Teufel, den Sie kennen …“, Sergey schnippte die Spielkarte über den Tisch zurück.
„Ganz genau. Ich bin nicht glücklicher über Ihr Bleiben, als Sie es sind. Doch es ist beschlossene Sache, also wie wäre es, wenn wir uns darauf einigen, bestmöglich miteinander auszukommen!?“, der Admiral hielt seinen Tumbler hoch, „Wie bei einer arrangierten Ehe, da?“
Ach, scheiß drauf. Es gab sowieso keinen Ausweg. MacAllister hatte einen Deal mit Mama Tasha gemacht. Einen Deal, den er sehr bald bereuen könnte, allein schon wegen seiner Wahl des Militärkommandanten. Im Vergleich zu ihr waren alle anderen harmlose Kätzchen. Wenn die mächtigste Frau im Sonnensystem einen Befehl erteilte, erwartete sie, dass er verdammt noch mal buchstabengetreu befolgt wurde. Das war beschlossene Sache. Das Einzige, was ihr Vollstrecker diesbezüglich kontrollieren konnte, war seine eigene Reaktion, sein zukünftiges Verhalten. Und das Ausmaß der Folgen für sich selbst und seine Kameraden.
Der Plutonier hob sein Getränk mit einem Schnauben. Die Eier des Admirals verdienten einen gewissen Respekt und Höflichkeit. … alles andere würde sich mit der Zeit ergeben. „Keine Chance. Sie sind viel zu alt für mich. … und zu hässlich.“
„Tja, Pech gehabt. Dem stählernen Miststück scheint die Mitgift zu gefallen.“
Sergey stieß ein Lachen aus und schlug dann mit wohl dosierter Kraft ihre Tumbler gegeneinander. „Da. Nastrovje!
Einerseits war der Alkohol des Admirals, auch wenn es kein Wodka war, zu lecker, um ihn zu verschwenden. Daher riskierte er nicht, die bereits beeinträchtigte Intaktheit des Tumblers zu zerstören und alles über den Tisch zu verschütten. Andererseits war Sergey mit dieser letzten Bemerkung nicht einverstanden, also stellte er das Glas beiseite, ohne zu trinken. Vielleicht war es etwas spät, um seine Abneigung auf diese Weise zu zeigen, und da der Terraner – wie er selbst zugab – noch nie zuvor im plutonischen Raum gewesen war, würde er die Zurückweisung wahrscheinlich nicht einmal als solche verstehen. Doch was auch immer er sonst sein mochte, Sergey war kein Stück Eigentum, mit dem sich handeln ließ. Er war ein freier Mann. Weder eine widerwillig verheiratete Jungfer noch Gegenstand eines schlechten Witzes.
MacAllisters smaragdgrüne Augen musterten schweigend den gesprungenen Tumbler. Dann stellte er seinen, von dem er nur einen Schluck genommen hatte, daneben. Hat der Mann die Natur des Tabubruchs, den er gerade begangen hatte, doch begriffen? Wahrscheinlich nicht. Sergey seufzte innerlich. Er konnte sich zwar nicht beklagen, dass MacAllister keine Anstalten machte, ihm entgegenzukommen. Doch wie auch immer ihre Beziehung in Zukunft aussehen würde, sie musste definitiv noch wachsen. Dies war kein Terrain, auf dem sich Sergeys direkte Art wohlfühlte. Allerdings zeigte der Admiral in dieser Hinsicht eindeutig seine eigenen Unzulänglichkeiten, weshalb die Senior Commander nicht nur gefordert hatte, dass ein Plutonier das Militär und die Sicherheit an Bord leiten sollte, sondern auch einen Diplomaten mitschicken würde.
Und dies hier war noch eine Art Friedenszeit. Die mit Sicherheit zu Spaltungen führenden schwierigen Entscheidungen lagen noch in ihrer Zukunft. Probleme für später.
Ah, Leere!
Vielleicht wäre es keine komplette Verschwendung seiner Lebenszeit, zu bleiben. Ein paar Jahre in einem fremden Sonnensystem würden ihm doch zumindest reichlich Zeit und Gelegenheit verschaffen, die hübsche Chefärztin der Gateshot zu verführen …
Apropos Gelegenheiten und Beziehungen, die neu definiert werden mussten.
„Ich möchte, dass Sie meine neue Position noch ein paar Stunden für sich behalten“, Sergey erhob sich, „Es gibt da noch etwas, um das ich mich kümmern muss, bevor es allgemein bekannt wird.“

GLEN\EVE\\ ÜBERRASCHUNGSANGRIFFE

[Vorgeschmack auf Band 5]

„Kapitän! Drei velorianische Schiffe auf Angriffsvektor!“, rief Rivers. „Zwei goutas, eine ruja!“

Glen studierte die Ausgabe auf dem Hauptbildschirm. „Pilot, Ausweichmanöver! Waffen, so schnell wie möglich einsetzen! Sorgen Sie dafür, dass sie uns nicht einkesseln können!“

„Aye, Sir!“, bestätigten Ludmilla und Jiăng.

„Schon wieder die Velorianer?“, murmelte Nick von seinem Sitz neben Glen.

„Was denn, bist du so begierig darauf, es mit den anderen Aliens aufzunehmen?“, grinste der Kapitän, während er die Daten betrachtete, welche von verschiedenen Stationen auf die vier Holo-Bildschirme vor ihm übertragen wurden.

Sein XO schüttelte mit einem leisen Lachen den Kopf und konzentrierte sich auf das Zusammenspiel der anderen Brückenbesatzungsmitglieder. Mit sicherer Hand führte er sie, brach Glens Befehle in kleinere Schritte herunter und passte sie nach Bedarf an. Er machte seine Sache gut. Der Bursche sah fast wieder normal aus, kaum eine Spur von der Tortur, die sein Geist und sein Körper noch vor Kurzem durchgemacht hatten. Er muss wohl hart trainieren.

Glen riss sich aus seinen privaten Grübeleien los, um sich wieder der aktuellen Situation zu widmen. Es war erstaunlich, wie schnell die Gateshot die ruja erledigte, wenn sie nicht durch lähmende technische Probleme und moralische Überlegungen behindert wurde. Die Brückenbesatzung hatte sich in den letzten Monaten gut zusammengefunden und arbeitete Hand in Hand wie ein Uhrwerk.

Bis jetzt war nur ein kleiner Störfall aufgetreten. Er blickte zu der leeren Konsole zu ihrer Linken hinüber. Wo war seine Schiffsmeisterin? Sie hatte sich gemeldet, um ihm mitzuteilen, dass es ein wichtiges Problem zu lösen gäbe, doch das war schon fast fünfzehn Minuten her. Eve mochte vieles sein, unpünktlich gehörte jedoch nicht dazu. Und sie wusste um diesen Einsatz.

„Keine Sorge, sie wird schon noch auftauchen“, murmelte Nick, während seine Finger über seine Bildschirme flogen. „Außerdem kommen wir auch ohne sie ganz gut zurecht, oder?“

„Sicher …“, etwas in Glens Hinterkopf juckte. Sie kamen zu gut zurecht. So einfach konnte es doch nicht sein, oder?

„Kapitän!“ Rivers’ Stimme stieg um einige Oktaven. „Zwei weitere Schiffe sind gerade auf unseren Scannern aufgetaucht! 20 km entfernt, hinter uns, sie zielen auf unsere Flanken. Sie kamen aus dem Nichts und sind riesig!“

„Pilot, Manöver Z-34 ausführen“, befahl Nick.

„Z-34 ausführen“, wiederholte Ludmilla brav und änderte bereits ihr Flugmuster in einen steilen Sturzflug, um sich in einer Schraubenbewegung von dieser neuen Gefahrenquelle zu entfernen.

„Scanner, wie stark ist ihre Panzerung?“, verlangte Jiăng zu wissen.

„Ich arbeite daran.“ Ihre Augen auf die Konsole geheftet, saugte Redhead Rivers konzentriert an ihrer Unterlippe.

Hinter ihnen öffnete sich die Tür zur Brücke. Zielstrebige Schritte, die vom Teppich gedämpft wurden. Allerdings nicht die leichten Schritte einer Frau. Glen blickte über die Schulter. Ein leichtes Kribbeln lief ihm den Rücken hinunter. „Lt. Federov. Sollten Sie nicht bei Ihren Leuten sein?“

„Hangar 4 wurde getroffen“, rief Lt. Okoro, der neben Rivers an einer zusätzlichen Scannereinheit saß. „Große Sprengkörper, aber nur minimale Schäden.“

Nick und Glen tauschten einen kurzen Blick aus.

„Sekundäre Sprengschilde werden versiegelt“, verkündete Dr. Lustig, ihr leitender Ingenieur.

Als Federov einfach weiter marschierte, ohne auch nur eine Antwort zu geben, wurde das Kribbeln zu einem regelrechten Schauer.

„Halten Sie ihn auf!“, forderte Glen und zeigte auf zwei Offiziere, die Hilfskonsolen bedienten.

Als sie ihm in den Weg traten, sprang der Plutonier vor und traf einen von ihnen mit einer ausholenden Bewegung, die auf den Bauch des Mannes zielte. Der Offizier erstarrte, blickte nach unten und blinzelte. Dann sackte er zu Boden. Federov griff bereits den anderen an, das Messer noch in der rechten Hand, die Pistole in der linken.

„Scheiße!“ Glen drückte auf den Schnellverschluss seiner Gurte und sprang auf die Füße. „MacAllister an Sicherheit, die Brücke wird angegriffen! Schicken Sie Verstärkung!“

Mit großen Augen sprang auch Nick auf die Füße. „Verdammt, Federov hat uns reingelegt! Singh, übernehmen Sie die Kontrolle über die Brücke!“

„Aye, Sir!“, bestätigte der zweite Offizier.

„Hangar 4 ist versiegelt.“ Lustig warf einen Blick zurück auf das Geschehen, aber er war professionell genug, um weiter seiner Arbeit nachzugehen. Einige der anderen starrten ebenfalls, mit Ausnahme von Ludmilla und Jiăng, welche völlig in die Bewältigung der externen Bedrohung vertieft waren.

„Scanner!“, forderte Jiăng und riss die mit großen Augen starrende Rivers in die Pflicht zurück.

Verdammte Axt! Wo waren die die Brücke schützenden Drohnen?

„Keine Anzeige“, meldete Rivers. „Ich kann ihre Abschirmung nicht durchdringen!“

„Lt. Jiăng, greifen Sie sie mit allem an, was wir haben!“, befahl Singh. „Wir werden sehen, ob wir sie nicht knacken können!“

„Aye, Sir.“ Jiăng blickte zu Ludmilla. „Pilot, geben Sie mir einen Angriffsvektor!“

„Schon dabei.“ Die Stimme der Frau mit dem Aussehen einer grauhaarigen Bibliothekarin war vor Konzentration angespannt.

Nick und Glen zogen sich eilig von ihrer zentralen Position auf der Brücke zurück und suchten sich einen halbwegs geschützten Platz an der linken Wand. Ein Wartungstechniker kauerte bereits in der Nähe des Waffenschranks, als Glen ihn mit seinem Daumenabdruck entriegelte. Federov machte sich über zwei weitere Besatzungsmitglieder her wie ein gefräßiger Dämon über eine Gruppe Nonnen. Er hielt sich das letzte als menschlichen Schutzschild vor und richtete seine Pistole auf Glen.

„Runter!“ Nick stieß Glen beiseite, und die für seinen Vorgesetzten bestimmte Kugel traf ihn direkt in die Brust.

„Ah, verdammt!“, murmelte er und sackte zu Boden.

„Kapitän, interner Sensoralarm!“ Rivers’ Kopf schnellte wild herum. „Eindringlinge strömen aus Hangar 4. Mindestens ein Dutzend! Interne Verteidigung reagiert nicht!“

„Ich arbeite daran.“ Lustigs Stimme blieb ruhig, seine winzigen Finger flogen mit zunehmender Geschwindigkeit über seine Konsole.

„XO ist außer Gefecht!“ Glen prallte hart gegen die Wand und griff sich eine der Waffen aus dem Spind.

Federov hatte sich bereits in Deckung begeben. Seine Hand erschien kurz über dem Stuhl des Kapitäns, um zwei Kugeln abzufeuern. Eine traf Lustigs Glatze, und der leitende Ingenieur fiel vornüber auf seine Konsole. Das Mädel neben ihm sprang mit einem kleinen Schreckensschrei auf. Die nächste Kugel traf sie.

Begierig, die Gelegenheit zu nutzen, drückte Glen ab, doch es passierte nichts. Scheiße, das Ding war verklemmt!

Mit einem Grinsen im Gesicht schwang sich Federov über den Stuhl und stürzte sich mit einem Messer in der Hand auf Okoro und Rivers. Während der erste in seinem Stuhl festschnallt starb, sprang die Rothaarige auf und nahm eine Kampfhaltung ein. Sie wich dem Messerstoß um Haaresbreite aus und versetzte dem Angreifer einen geschickten Tritt gegen das Schienbein. Durch den überraschenden Konter verfehlte Federov seinen Schuss und stolperte gerade lange genug, dass sie über eine weitere Konsole vorerst in Sicherheit springen konnte.

„Die Velorianer haben uns getroffen!“ Jiăngs mandelförmige Augen weiteten sich, als er zwischen seiner Konsole, der einzigen Verteidigung, die das Schiff gegen die Angreifer von außen hatte, und dem Verrückten, der nur wenige Meter entfernt seine Kollegen abschlachtete, hin und her sprang. „Erhebliche Schäden in den Quadranten 42/10-45/05!“

„Die Eindringlinge gewinnen an Boden!“, warf eine andere panische Stimme ein.

Verdammte Axt! Wo zum Teufel war Eve? Sie hätte Federov sofort ausgeschaltet und gleichzeitig noch die unbesetzten Konsolen übernommen.

Glen riss das Magazin aus seiner Waffe und prüfte es eilig. Wie er vermutet hatte, war der Ladehemmer absichtlich herbeigeführt worden, doch diese Art von Sabotage ließ sich leicht beheben. Singh hatte mehrere andere um sich geschart, und sie stürzten sich auf Federov, als dieser sich umdrehte, um auf die am Boden kauernde Rivers zu zielen. Sie hätten ihn aufgrund ihrer schieren Anzahl um ein Haar bezwungen, allerdings fehlte ihnen die Kampferfahrung des Voidwalkers, sodass es nur einen Fehler brauchte, um die Situation zu kippen. Federov erkannte das schwache Glied sofort. Er brachte einen seiner Angreifer zu Fall und stieß ihn dann in einen zweiten, bevor er sich auf die zu Boden gefallene Waffe stürzte.

„Singh, runter!“, befahl Glen, während er sich dem Tumult zuwandte und das verklemmte Magazin wieder einsetzte.

Die Kugel traf Federov mitten auf die Stirn und spritzte rote Flüssigkeit über sein ganzes Gesicht. Gleichzeitig schlang sich ein Arm von hinten um Glens Brust, kalter Stahl strich über seine Kehle und hinterließ ein feuchtes Gefühl.

Scheiße.

Glen ließ die Pistole fallen und wollte zu Boden sinken, da berührte eine leichte Hand seinen Ellbogen, und eine resonante Stimme murmelte: „Nicht nötig. Sie waren das eigentliche Ziel.“

„Nun, eines davon“, Federov richtete sich auf, steckte seine Waffen weg und berührte die feuchte Stelle auf seiner Stirn, „wir haben in jedem Fall gewonnen.“

Die außerirdischen Schiffe, welche auf dem Hauptbildschirm auf sie zusteuerten, erstarrten. Ein rotes Banner überlagerte das Bild und zeigte die Meldung: „Simulation abgeschlossen.“ Der dunkelhäutige Mann im Wartungsoverall trat zurück und reichte dem Kapitän einen Lappen.

„Es ging also nicht darum, die Arbeit der Brückenbesatzung unter Stress zu beobachten, wie ich annehme?“ Glen nahm ihn an und wischte sich die Farbe vom Hals. „Oder hatten Sie nur eine andere Art von Stress im Sinn als die, über die wir sprachen?“

Niete“, Federov fischte eine kleine Packung Feuchttücher aus den Taschen seiner Uniformjacke, wischte sich die Stirn ab und warf den Rest Lustig zu. „Da ich sehr bald für die Sicherheit auf diesem Schiff verantwortlich sein werde, wollte ich, dass Sie und Ihre Brückenbesatzung verstehen, wie gefährdet Ihre Einrichtung wirklich ist. Wir sind ungehindert auf diese Brücke spaziert, obwohl Sie gerade eine Begegnung mit einem Gestaltwandler hatten. Vor dem wichtigsten Teil dieses Schiffes gibt es keinen Kontrollpunkt, keine Männer, die Wache stehen. Sie gehen zu sorglos mit überraschenden Gefahren um. Sie verlassen sich zu sehr auf Ihre Technologie, um Ihre Sicherheit zu gewährleisten.“

Glen konnte nur seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpressen, während er einem der am Boden liegenden Offiziere aufhalf.

„Und das war nur ein einköpfiges Einsatzteam. Plus ein Infiltrator.“ Federovs Stimme wurde schärfer, sein Blick schweifte kurz zu dem Mann neben Glen. „… der unsichtbar bleiben und mit allen Daten, die er sammeln konnte, verschwinden sollte!“

Der von ihm indirekt angesprochene Plutonier reichte einem weiteren Besatzungsmitglied eine helfende Hand. Seine Stimme war entspannt, als er antwortete: „Ich hatte meine Erkenntnisse bereits übermittelt. Mein Job war erledigt.“

„Aber Sie beide hätten keinen Selbstmordeinsatz ausgeführt, hätte es sich nicht um eine Simulation gehandelt.“ Nick erhob sich und fing die Tücher auf, welche Lustig ihm zuwarf.

„Ich vielleicht nicht.“ Der Infiltrator zuckte mit den Schultern. „Doch wären wir Parruche gewesen oder Klone oder beides? Dann hätten wir es mit Sicherheit getan. Verabschieden Sie sich von diesen beschützten Vorstellungen, Commander. Sie werden Ihnen hier draußen wenig nützen.“

Die Tür zur Brücke öffnete sich. Eine winzige Drohne flog herein und steuerte auf die ausgestreckte Hand des Mannes zu. „Hier, Kapitän. Sie finden darauf Daten von jeder Brückenkonsole. Das einzige Ziel, auf das ich keinen Zugriff erhalten konnte, war Ihr Büro.“

„Das sind fünf Punkte für uns.“ Federov schien nun etwas weniger verärgert. „Einer für Sie. Und meine Argumentation steht. Wenn ich zwei bis vier Leute mitgebracht hätte – nicht einmal eine ganze Truppe, nur ein paar gut ausgebildete Personen, die mir den Rücken freihalten – wären wir genauso schnell gewesen und hätten diese Brücke innerhalb von Sekunden in Stücke geschossen. Es wäre ein Massaker gewesen! Als ob man Ratten in einem Käfig plattmacht.“

Rivers schluckte, ebenso wie einige andere. Nick und Glen tauschten einen entschieden unbehaglichen Blick aus. Verdammte Axt, Federov hatte Recht.

„So wie es aussieht, haben wir …“ Federov zählte demonstrativ alle Getöteten durch und zeigte am Ende mit dem Finger auf den Kapitän. „… zwölf von achtzehn Menschen auf dieser Brücke ausgeschaltet, einschließlich der beiden kommandierenden Offiziere. Und davor Frau Baileywick. Sie haben einen erschossen. Das macht achtzehn zu zwei Punkten.“

„Wir haben außerdem den Waffenschrank und die Wachdrohnen sabotiert“, bestätigte der Infiltrator Glens Verdacht.

„Sonst noch etwas?“, erkundigte sich sein Vorgesetzter.

Der Mann zuckte mit den Schultern. „Möglicherweise.“

„Gut. Also ein sicheres 20:2.“ Federov schüttelte den Kopf. „Das geht so nicht, Admiral. Wir müssen Ihre Sicherheitsvorkehrungen komplett überdenken. Meinen Sie nicht auch?“

Verdammte Axt, wie konnte er etwas anderes sagen als: „Aye, ich schätze, das müssen wir wohl.“

Ein selbstzufriedenes Lächeln erhellte das harte Gesicht des Lieutenants für einen Moment. Er legte zwei Finger an sein Ohr als Zeichen für eine eingehende Nachricht: „Hier Ironwing.“

Die Tür zur Brücke öffnete sich. Eve schritt herein, mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck. Sie stoppte neben Glen, beide Hände auf dem Rücken verschränkt. Auch ihr Nacken und Rücken waren mit Farbe markiert.

Nach einer Minute nickte Federov. „Gut gemacht. Rückzug und Aufräumen.“

Glen blickte zu seiner Schiffsmeisterin hinüber und zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Die Plutonier haben die Landung von Außerirdischen aus Hangar 4 simuliert“, die graublauen Augen funkelten, während sich ihr Mundwinkel langsam hob. „Sie haben sich Kostüme aus Bettlaken und dergleichen angefertigt. Es war ziemlich amüsant, ihnen zuzusehen.“

„Amüsant ist nicht wirklich das richtige Wort dafür.“ Federov konnte sein eigenes Grinsen nicht ganz verbergen. „Es ging darum, zu ermitteln, wie lange Ihre Sicherheitskräfte brauchen, um zu reagieren und sich zu organisieren … Sagen wir einfach, der Punktestand ändert sich nicht wesentlich.“

Mit einem tiefen Seufzer fing er die traurigen Reste seiner Tücher auf. „Das wird eine Menge Arbeit werden …“


„Also, was ist passiert?“, fragte Glen Eve, nachdem die Plutonier abgezogen waren und er eine stark demoralisierte Brückenbesatzung zur Erholung in die Mittagspause geschickt hatte. Er beorderte Nick und sie zu einer kurzen Nachbesprechung in sein Büro.

„Lt. Federov ließ mich hinhalten, damit er mich zuerst ausschalten konnte.“ Das Mädel kämmte ihren karibikblauen Zopf nach vorne, um die neongrünen Farbsprenkel besser begutachten zu können. „Anscheinend hielt er mich für einen zu großen Trumpf in Ihren Händen.“

Klang da etwa Selbstzufriedenheit in ihrer Stimme mit?

„Nun ja“, Glen kratzte sich am Kinn, „er ist verdammt schlau. Vielleicht hätte ich ihn ziehen lassen sollen. Dann hätten wir vielleicht einen … naiveren Aufseher bekommen.“

„Das wäre ein Glücksspiel gewesen und hätte seine eigenen Gefahren mit sich gebracht.“ Nick schüttelte den Kopf. „Nein, so ist es besser. Außerdem hat er recht.“

„Das will ich gar nicht abstreiten.“ Glen konnte das Knurren in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken. „Es scheint mir nur gerade ein schlechter Zeitpunkt, es den Leuten unter die Nase zu reiben. Wir haben die Piraten gerade so überlebt, unser Schiff ist immer noch schwer beschädigt, und unsere Crew braucht einen Muntermacher, keinen weiteren Dämpfer.“

„Vielleicht.“ Nick kratzte seinen Undercut. „Andererseits haben wir nur noch ein paar Wochen Zeit, bevor wir uns auf den Weg zum Tor machen, und Dinge wie Sicherheitskontrollen und dergleichen sollten in den neuen Brückenspezifikationen enthalten sein, bevor wir Reparaturen und Renovierungen im Dock durchführen lassen. Jetzt können wir sie noch einplanen. Jetzt haben wir noch Zeit, die Leute in einer sicheren Umgebung zu schulen.“

Aye, Glen war sich dessen bewusst. Dennoch … die Art und Weise, wie Federov seine Brücke, Glens Machtzentrum, überfallen hatte, ärgerte ihn maßlos. … Und der Infiltrator …

„Dieser Infiltrator …“

„Sgt. Ermolai Ronne“, ergänzte Eve, „wird selbst in privaten Gesprächen nur mit seinem Codenamen ‚Ghost‘ angesprochen.“

„Er war … unheimlich.“

„Ich habe ihn nirgendwo gesehen.“ Nick runzelte die Stirn.

„Ich habe ihn neben dem Waffenschrank gesehen, aber dann …“ Glen machte eine vage Geste. „Habe ich einfach … vergessen, dass er da war. Plötzlich war er direkt hinter mir, und ich habe es nicht bemerkt!“

Die Schiffsmeisterin nickte. „Es fällt mir schwer, ihn mit Kameras und Sensoren zu verfolgen. Er scheint die meiste Zeit zu verschwinden. Ich vermute, es ist Magie. Vielleicht sogar eine instinktive Art. Sie wissen, dass ich Magie nicht begreifen kann.“

Richtig, das war Teil ihrer Kernprogrammierung.

„Was ich aber wirklich gerne wissen würde“ – Nick beugte sich mit einem schelmischen Funkeln in den Augen über den Tisch – „ist, wie es Federov geschafft hat, unsere mächtige Wächterin so einfach und mit nur zwei Schüssen auszuschalten. Ohne dass es jemand bemerkt hat.“

Eve hielt seinem Blick stand, schüttelte ihren Zopf aus, und die Sprenkel, die ihn bedeckten, zerfielen zu Staub. „Nun“, meinte sie grinsend, „dann solltest du ihn vielleicht nach den Details fragen. Ich habe nämlich keine Lust, sie zu teilen.“

Unwillkürlich legte sich ein Stirnrunzeln auf Glens Gesicht. Was hatte es damit auf sich? Hatte Federov ihren Stolz genauso sehr verletzt wie seinen?


Nachdem sie endlich das neueste Problem des plutonischen Quartiermeisters mit dem Design der Gateshot-Crewquartiere gelöst hatte, eilte Eve zum Aufzug. Sie schaltete sich in die Kameras auf der Brücke ein und sah, dass die Simulation bereits begonnen hatte. Zu ihrem Glück war ihre Anwesenheit als Schiffsmeisterin nicht zwingend erforderlich, insbesondere da Nick wieder im aktiven Dienst war. Dennoch erwartete Glen sie dort, und sie hasste es, zu spät zu kommen.

Gerade als sich die Türen hinter ihr schlossen, huschte jemand anderes mit in die kleine Kabine.

Eve runzelte die Stirn. „Sollten Sie nicht bei Ihren Truppen sein, Lieutenant?“

„Oh, ich bin gerade auf dem Weg dorthin.“ Federov schüttelte den Kopf. „Ich wurde aufgehalten. Und sollten Sie nicht auf der Brücke sein?“

„In der Tat. Halten Sie sich fest.“ Eve startete den Aufzug und wählte die Express-Einstellung. Während sie perfekt im Gleichgewicht blieb, musste Federov einen Schritt zur Seite machen, um den plötzlichen Ruck auszugleichen.

„Was zum …“

Zuerst dachte sie, er beziehe sich auf die abrupte Beschleunigung, doch sein Blick war an ihr vorbei gerichtet.

„Spielt dieses Mädchen wieder mit Magie?“

Eves Augen weiteten sich. Suzy würde sich doch nicht noch mehr Ärger einhandeln, oder? Machte Rupert etwas, um Federov gegen sie aufzubringen?

Da sie auf den Kameras nichts Ungewöhnliches erkennen konnte, blickte sich Eve rasch um. Kaum hatte sie den Blick abgewandt, packte der Plutonier sie von hinten am Hals und beschmierte ihn mit einer klebrigen Substanz. Gleichzeitig zog er mit der linken Hand seine Pistole. Es gelang ihm, einen Schuss abzugeben, bevor sie sich herumdrehte, ihn am Kragen packte und vom Boden hochhob. Seine Waffe fiel klappernd zu Boden, als sein Rücken mit einem dumpfen Aufprall gegen die Wand schlug. Ein winziger Ausdruck von Schmerz huschte über sein Gesicht.

„Ich habe Sie markiert“, keuchte er.

Eve berührte mit der freien Hand die klebrige Substanz in ihrem Nacken und betrachtete sie. Grüne Farbe. „Sie hätten mich betäubt und erschossen?“

„Für den Zweck dieser Simulation habe ich das.“ Federovs Stimme blieb ruhig, wenngleich sein Herzschlag sich geringfügig beschleunigt hatte. „Hat für die Meuterer funktioniert. Wäre das hier jedoch echt gewesen, hätte ich einen anderen Weg gewählt. Vielleicht die Kabine mit Sprengstoff ausgekleidet oder eine Selbstmorddrohne geschickt, um Sie zu zerfetzen. Doch das ist schwer nachzuahmen, ohne tatsächlichen Schaden zu riskieren.“

„Verstehe.“ Die Wächterin setzte ihn zurück auf seine Füße, drückte ihn jedoch weiter gegen die Wand. „Sie haben den Quartiermeister beauftragt, mich aufzuhalten.“

Da.

Sie legte den Kopf schief. „Warum bin ich das erste Ziel?“

„Das hat mehrere Gründe.“ Federov fischte einen Lappen aus seiner Tasche und wischte die Farbreste von seiner künstlichen Hand. „Hauptsächlich, weil die Besatzung zu sehr davon abhängig ist, dass Sie ihre Fehler ausbügeln. Sie können jeden Posten übernehmen, sogar mehrere gleichzeitig. Sie sind ein Sicherheitsnetz, das ich durchtrennen muss, wenn die Brückenbesatzung verstehen soll, wie tief der Fall tatsächlich ist. Es geht mir nicht darum, mich zu profilieren, sondern der Crew ihre blinden Flecken vor Augen zu führen. Sie verstehen sich als ihr Lehrer, daniete?“

Eve nickte. Diese Simulation war nicht das, was Federov behauptet hatte. Es ging nicht darum, die Brückenbesatzung in Aktion gegen eine externe Bedrohung zu beobachten. Es ging darum, zu sehen, wie sie auf Überraschungen reagierte. Darum, Lücken in ihrer Verteidigung und ihrer Wahrnehmung zu entlarven.

„Dann sollten Sie wissen, wie wichtig es ist, einen Schritt zurückzutreten und sie stolpern zu lassen. Manche Dinge kann man nicht durch Worte vermitteln, man muss sie zeigen.“

Mit einem inneren Seufzer schloss die Wächterin kurz die Augen. Das war der Teil, den sie noch immer nicht vollständig beherrschte. Sie wusste jedoch um diese spezielle Schwachstelle, und entweder hatte er das erkannt oder einfach sehr gut geraten. Außerdem – darauf wies sie eine spitzbübische Stimme in ihrem Inneren hin – hatte Glen, ihr Hauptschüler, die Plutonier an Bord ihres Schiffes gelassen und vereinbart, dass sie bleiben durften. Er hatte ihr gesagt, dass sie, wenn sie wolle, dass er ihr Kapitän sei, die Verantwortung für die Führung an ihn abgeben müsse. Wenn es Federov also tatsächlich gelingen sollte, ihren Kapitän zu überlisten, wäre Glen selbst schuld. Und vielleicht gab es etwas, das der Plutonier dem alten Schotten beibringen konnte. Etwas, für das Eve zu „unerfahren“ war, um es zu wissen oder mit ihm zu teilen.

Mit einem schmalen Lächeln ließ Eve Federov frei. „Sie wollen also, dass ich mich totstelle?!“

Da.“ Er hob seine Schusswaffe auf. „Und ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie die Kabine zwei Decks unter der Brückenebene anhalten und sich hier einschließen würden, bis die Simulation vorbei ist. Dann muss ich die nicht wirklich sabotieren.“ Er hielt eine kleine Tasche mit Haftbomben hoch. „Außerdem habe ich Ihnen in der Zeit, die mich das gekostet hätte, meine Beweggründe erklärt. Also scheint es nur fair, daniete?“

Da.“ Die Kabine verlangsamend und anhaltend, sank die Wächterin auf die Knie, bevor sie mit dem Gesicht voran zu Boden fiel – genau so, wie sie es getan hätte, wenn der Lieutenant sie tatsächlich betäubt und erschossen hätte. „Ich wünsche euch Jungs viel Spaß.“

Federov schnaubte, als er die Tasche sanft auf den Boden abstellte. Dann sprang er hoch, um durch das Dach der Kabine zu verschwinden.